In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück
Schuhen. Die waren voller Hundekacke. Aber gut, ich sah scheiße aus und ich fühle mich auch jetzt immernoch ziemlich mies. Während du ausgesprochen gut aussiehst, wenn ich das mal so sagen darf. Ja, bestimmt darf ich das, denn ich habe den Eindruck, du möchtest sicher sein, dass ich den Unterschied zwischen dir und mir genau registriere, denk dir nur, ja, das tue ich. Also, hier auf meiner Seite, was haben wir da? Genau – ein Wrack. Und da drüben auf der anderen Tischseite? Einen strahlenden Siegertypen. Sehr gepflegt, schöne, saubere Schuhe, perfekter Haarschnitt, sicher war der Anzug teuer, supertoller Verlobungsring, und – hey – benutzt du etwa eine Feuchtigkeitspflege, dein Teint wirkt so frisch?«
Leo kniff die Lippen aufeinander. Dann atmete er einmal tief durch und sagte: »Ja, schön, dass wir das geklärt haben. Können wir jetzt zur Sache kommen?«
»Ja.« Ich holte eine Kopie der Liste mit den katalogisierten Gegenständen aus meiner Handtasche. »Ihr habt ja darauf verzichtet, bei der Auflistung anwesend zu sein, also nehme ich an, dass ihr mit dem Ergebnis einverstanden seid. Es sind ein paar nette Sachen dabei. Kerzenständer, mit denen man die Schwiegermutter erschlagen kann, Bilder, so schön, dass man weinen muss, wenn man sie anschaut. Und jede Menge Stühle. Schmuck und Uhren haben wir leider noch nicht ausfindig machen können, aber wenn man deinem Anwalt glaubt, habe ich die ja ohnehin längst zu Geld gemacht. Jedenfalls war davon nichts in dem Lagerraum zu finden.«
Wieder atmete Leo tief ein und aus. (Ich musste Trudi mal fragen, ob er vielleicht eines ihrer Atemtherapie-Seminare besucht hatte.) »Eine Sache möchte ich gerne sofort klarstellen. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich von diesem Erbe keinen Cent genommen. Aber hier geht es ja auch um meine Schwestern. Wir wollen bloß unseren Pflichtteil. Der steht uns zu.«
»Ich verstehe das nicht. Du willst nicht mal wissen, wie er gestorben ist.«
»Das hat deine Schwester mir schon haarklein erzählt«, sagte Leo. »Und wie gesagt …«
»Er hat dir doch überhaupt nichts getan, Leo. Er hat sich nur in die Frau verliebt, die du ohnehin nicht mehr wolltest. Und das war meine Schuld. Auf mich hättest du ruhig sauer sein können.«
»Könnten wir bitte …«
»Karl hatte immer ein Bild von dir und deinen Schwestern im Portemonnaie, wusstest du das? Er hätte so gern ein gutes Verhältnis zu euch gehabt.«
»Dann hätte er meine Mutter nicht verlassen sollen«, sagte Leo knapp und fuhr dann in geschäftsmäßigem Ton fort: »Es geht doch jetzt nur noch darum, den Nachlasswert nach Abzug aller Verbindlichkeiten festzustellen, mit anderen Worten, die inventarisierten Gegenstände sind zu schätzen, ebenso die Immobilien. Aktienbestände und Bareinlagen sind bereits unstreitig erfasst, sodass diesbezüglich zeitnah eine Teilung vorgenommen werden kann. Es steht dir frei, mit den insofern verfügbaren Mitteln eine Auszahlung an die Pflichtteilsberechtigten vorzunehmen, falls du die Immobilien nicht veräußern willst.« Er zögerte. »Was allerdings in Anbetracht der Höhe der herauszuzahlenden Beträge wohl eher unumgänglich sein dürfte.« »Aha.« Ich hatte kein Wort verstanden. Vielleicht hätte ich doch noch ein paar Semester länger Jura studieren sollen.
»Ja, aha ! Wir sind dir sehr entgegengekommen. Nun können wir uns außergerichtlich einigen, wie wir das Vermögen teilen, und es bleibt nicht an dir hängen, alles zu Bargeld zu machen.«
»Wie selbstlos.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
Ein Kellner brachte unsere Getränke, einen Cappuccino für mich, schwarzen Kaffee für Leo.
Leo nahm einen Schluck und beugte sich zu mir vor. Wusste er eigentlich, dass er Karl wie aus dem Gesicht geschnitten war? Na ja, es fehlte natürlich eine Menge. Die hohe Stirn zum Beispiel und der Schwung in der Oberlippe. Und diese Linien, die Karls Gesicht den Charakter verliehen hatten. Diese Fältchen rund um den Mund, die sein Lächeln so besonders gemacht hatten. Mir schossen wieder einmal die Tränen in die Augen, und ich konnte nur hoffen, dass Leo sie nicht bemerkte.
»Ich will dir nichts vormachen«, sagte er. »Mir wäre sehr an einer gütlichen Einigung gelegen. Ich möchte das Haus meiner Großeltern gern für meine Familie erhalten, daher würde ich es gern übernehmen. Es ist seit vielen Generationen im Familienbesitz, und es wäre traurig, wenn du es verkaufen müsstest, um uns auszuzahlen.«
»Ja, das
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