In Zeiten der Flut
abgesperrt, um sie fernzuhalten.«
»Auspeitschen sollte man die. Das kommt davon, wenn man auf einem Planeten lebt, fern von allen Einschränkungen der Zivilisation.«
Ein weiteres Surrogat mischte sich ein. »Ach, ich glaube, in uns allen ist ein Rest von Wildheit enthalten. Wenn ich ein paar Jahre jünger wäre, dann wäre ich auch dort unten.«
»Das glaub ich gern.«
Dem Bürokraten fiel ein Lichtschimmer ins Auge. Die Tür zum Lagerraum in der Mitte der Bar hatte sich geöffnet. Er erhaschte einen kurzen, nahezu subliminalen Blick auf ein schmales, bleiches Gesicht, als sich die Tür auch schon wieder schloß. Es war kaum mehr als ein Gefühl, trotzdem beschloß er, abzuwarten, ob sich der Vorgang wiederholen würde.
Lange Zeit verharrte er nahezu reglos. Abermals öffnete sich die Tür, und ein furchtsames Gesicht spähte heraus. Ja! Es war eine Frau. Klein, schlank, mäuschenhaft.
Jemand, den er kannte.
Interessant. Der Bürokrat schlug einen weiten Bogen. Es gab zwei Türen zu dem Lagerraum, die einander gegenüber lagen. Es würde nur einen Moment dauern, unter der Bar hindurchzuschlüpfen und hineinzugehen. Er kehrte zum Ausgangspunkt zurück und setzte sich auf einen von Weinranken abgeschirmten Stuhl.
Die Stunden verstrichen. Die Fernsehgeräte waren ein impressionistisches Rad von kalbenden Eisbergen, Zeltstädten für die Menschen von den Viehtranspor tem, langen Einstellungen von präkataklysmischen Eiskappen. Das Warten machte ihm nichts aus. In langen Abständen, dafür aber so regelmäßig wie ein Uhrwerk, öffnete sich die Tür, und das schmale, bleiche Gesicht schaute heraus und musterte die Menge, bevor sich die Tür wieder schloß. Offenbar wartete die Frau auf jemanden.
Endlich nahm ein Neuankömmling an der Bar Platz und legte eine Handvoll Blumen auf die Theke. Zerdrückte Wassergeister und Tausendschön, das er irgendwo draußen gepflückt hatte. Der Mann hob eine unsichtbare Serviette auf und faltete sie auseinander. Dann fuhr er mit den Händen am Thekenrand entlang, als suchte er etwas, das dort versteckt war. Als der Barkeeper ihm einen Drink vorsetzte, hielt er das nichtvorhandene Glas so hoch, daß er die Unterseite untersuchen konnte.
Der Bürokrat kannte diese Gesten.
Bald darauf öffnete sich wieder die Tür zum Lagerraum. Das Frauengesicht erschien darin, ein bleicher Fleck in der Dunkelheit. Sie sah den Neuankömmling, nickte und hob einen Finger: noch eine Minute. Die Tür ging zu.
Unauffällig schlenderte der Bürokrat zur anderen Seite der Bar und duckte sich unter der Theke hindurch. Als sich ihm ein elektronischer Barkeeper näherte, hielt er das Armband der Evakuierungsbehörde hoch. Es war grün und verlieh ihm eine Sonderstellung. Der Barkeeper wandte sich ab, und der Bürokrat betrat den Lagerraum.
Die einzelne kahle Glühbirne tat nach der Düsternis der Bar seinen Augen weh. An den Wänden ragten leere Regale auf. Die Frau stand auf den Zehenspitzen und wollte gerade eine Schachtel aus einem Regal nehmen. Er faßte sie beim Arm.
»Hallo, Esme.«
Mit einem piepsenden Geräusch sog sie den Atem ein und wirbelte herum. Der Kasten stieß gegen ein Regal. Sie wich vor dem Bürokraten zurück und versuchte unbeholfen, das Paket festzuhalten. Er ließ sie nicht los. »Wie geht es Ihrer Mutter?«
»Lassen Sie mich ...«
»Immer noch am Leben, wie?« Panik lag in ihren winzigen, dunklen Augen. Dem Bürokrat kam es so vor, als ob ihre Knochen splittern würden, wenn er nur ein wenig fester zudrückte. »Dann läßt Gregorian Sie also Besorgungen für sich erledigen, hab ich recht? Er hat Ihnen versprochen, die Angelegenheit für Sie zu regeln. Geben Sie's zu.« Er schüttelte sie, und sie nickte. »Reden Sie! Ich kann Sie jederzeit festnehmen. Gregorian benutzt Sie als seinen Kurier, hab ich recht?«
Er schob Esme an die Wand und zwängte sie zwischen sich und den Regalen ein. Er spürte ihr Herzklopfen. »Ja.«
»Hat er Ihnen die Schachtel gegeben?«
»Ja.«
»Wem sollen Sie sie geben?«
»Dem Mann - dem Mann an der Bar. Gregorian meinte, er würde Blumen mitbringen.«
»Was noch?«
»Sonst nichts. Er hat gemeint, falls mir der Mann irgendwelche Fragen stellen würde, sollte ich ihm sagen, die Antworten wären alle in dem Karton.« Esme war jetzt sehr still. Der Bürokrat trat zurück und gab sie frei. Er nahm den Karton. Sie starrte ihn so leidenschaftlich an, als wäre ihr Herz darin.
Der Bürokrat fühlte sich alt und zynisch. »Überlegen Sie mal,
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