INAGI - Kristalladern
waidwundes Shingei , Ishira! Ich werde schon aufpassen, dass dir nichts passiert.«
Zaudernd streckte sie die Hand nach dem Sattel aus. Lesha rührte sich nicht. Rondar half ihr beim Aufsitzen. Jetzt wurde die Stute doch unruhig, ließ aber zu, dass Ishira sich in den Sattel zog. Das machte sie ein wenig zuversichtlicher.
»Na, wer sagt’s denn!« Der Bakouran sah zufrieden aus. »Dann werde ich dir jetzt zeigen, wie du dein Reittier lenken kannst.«
Er hielt das Pferd am Zügel und gab ihr Anweisungen. Am Anfang hatte Ishira Schwierigkeiten, sich allein im Sattel zu halten, und rutschte bedrohlich hin und her, aber nachdem sich ihre Aufregung ein wenig gelegt hatte, erinnerte sie sich daran, wie sie sich den schaukelnden Bewegungen Bokans angepasst hatte, als sie hinter Rondar geritten war. Von da an ging es voran und sie war in der Lage, der Unterweisung des Kiresh zu folgen. Er erklärte ihr geduldig, wie sie Lesha mithilfe der Zügel und ihrer Schenkel in eine gewünschte Richtung lenken und die Stute schneller oder langsamer gehen lassen konnte. Nie erhob er auch nur die Stimme, egal wie ungeschickt sie sich anstellte. Seine Gelassenheit erstaunte Ishira – und nicht minder, wie schnell seine Bemühungen Früchte trugen. Bereits am Abend saß sie halbwegs sicher im Sattel und war in der Lage, ihre Stute allein zu lenken. Als sie absaß, zitterten ihre Beine, aber sie war stolz und glücklich.
Sie lagerten inmitten eines lichten Bambuswaldes, dessen Stangen im Wind sacht hin und her wogten und mit dumpfem Ton aneinander schlugen. Der gleichförmige Klang und der warme Tee in ihrem Magen machten Ishira schläfrig und weckten in ihr zugleich den Wunsch, auf dem Rehime zu spielen. Bevor es ihr recht bewusst wurde, hatte sie in ihre Satteltasche gegriffen und das Musikinstrument hervor geholt. Seit ihrem Aufbruch war es das erste Mal, dass sie es in der Hand hielt. Doch sie zögerte, die Hülle zurückzuschlagen. Sie sollte vorher Rondar um Erlaubnis bitten.
Der Bakouran saß, den Rücken an einen Baumstamm gelehnt, schweigend im Gras und beobachtete sie. Er deutete mit einem Nicken auf das Rehime. »Was ist das?«
Ishira zog das abgewetzte Leder weg und zeigte ihm das Instrument. Interessiert setzte Rondar sich auf. »Du spielst Sihar?«
Sie stutzte einen Moment, bevor sie begriff, dass dies wohl die goharische Bezeichnung war. »Ja, Deiro. Schon seit meiner Kindheit. Bei uns heißt es allerdings Rehime.«
Er lächelte. »Ich würde gern ein Stück hören.«
Zu Ishiras eigener Überraschung fiel es ihr nicht schwer, sein Lächeln zu erwidern.
Als sie die ersten Takte anschlug, ließ Rondar sich wieder gegen den Baum zurücksinken und schloss die Augen. Offenbar gefiel ihm, was er hörte, denn nachdem sie geendet hatte, bat er sie fortzufahren. Selbstvergessen spielte Ishira weiter und weiter, bis sich der Bogen wie von einem eigenen Willen gelenkt über die Saiten bewegte. Der Bambuswald, das Feuer, der Lagerplatz begannen sich um sie her aufzulösen. Allein der Fluss der Melodie blieb und Ishira ließ sich auf ihm davontragen.
Sie tauchte durch eine zerfaserte Wolke. Ihre Schwingen waren weit ausgebreitet und sie spürte den kühlen Abendwind vorbeirauschen. Unter ihr glitten zerklüftete Berghänge und neblige Wälder dahin, in einen Flickenteppich aus Wolkenschatten und goldenem Licht gehüllt. Aus purer Freude drehte sie Pirouetten, bis Himmel und Erde zu einem blaugrünen Strudel verwischten und ihr ganz schwindelig wurde. Ein nie gekanntes Gefühl von Lebendigkeit und Freiheit überschwemmte sie und machte sie trunken.
Blinzelnd öffnete Ishira die Augen. Was für ein seltsamer Tagtraum. Erst jetzt merkte sie, dass der Bogen bewegungslos in ihrem Schoß ruhte. Als sie zu Rondar hinüber spähte, sah sie, dass er eingeschlafen war, ein heiteres Lächeln auf den Lippen. Sie legte den Kopf in den Nacken. Durch die Bambusstangen hindurch sah sie Wolkenfetzen über den Himmel ziehen. Ihre Unterseite leuchtete in der Abendsonne so golden wie in ihrem Traum.
* * *
Yaren bel Helerash stand am Rande eines steilen Abhangs. Das Panorama, das sich vor ihm ausbreitete, war von herber Schönheit. Soweit das Auge reichte, erstreckten sich Kette um Kette die zerklüfteten Drachenberge, Heimat der Amanori. Die morgendliche Sonne übergoss die wie Zähne in den Himmel ragenden Gipfel direkt vor ihm mit einem golden angehauchten Rosa, während die Berge am Horizont in bläulichem Dunst verschwammen. Die
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