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INAGI - Kristalladern

INAGI - Kristalladern

Titel: INAGI - Kristalladern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Strunk
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Landkarte zu stehlen. Der Verdacht würde sofort auf sie fallen. Doch irgendwo eine Karte zu kaufen, war erst recht unmöglich. Nicht nur würden solche Zeichnungen mit Sicherheit ein Vermögen kosten – kein Händler würde sie einer Inagiri verkaufen. Ein solcher Wunsch musste bei jedem Gohari sofort Argwohn wecken. Aber sie würde ihrem Freund auf jeden Fall von der Karte erzählen. Falls er irgendwo auf eine derartige Zeichnung stieß, wüsste er zumindest, was er da vor sich hatte. Sie fixierte die Zeichnung mit aller Macht, als würde sie sich dadurch in ihr Gedächtnis einbrennen. Doch mehr als einen groben Überblick, der Kanhiro nicht viel nützen würde, konnte sie sich nicht merken.
    Und wenn ich Rondars Karte abzeichne? Sie verwarf die Idee beinahe sofort wieder. Abgesehen davon, dass sie noch nie einen Schreibpinsel in der Hand gehalten hatte – womit sollte sie zeichnen? Natürlich gab es in den Forts alles Nötige zu kaufen, aber wie sollte sie erklären, wozu sie Pinsel und Papier brauchte? Außerdem konnte sie die Zeichnung nicht aus dem Gedächtnis kopieren. Sie musste sie vor sich haben. Wenn sie die Karte jedoch in der Nacht aus Rondars Satteltasche holte, war die Gefahr groß, dass er davon wach wurde und sie erwischte. Zudem war es riskant, das Pergament so dicht ans Feuer zu halten, dass sie die Zeichnung in der Dunkelheit studieren konnte. Zu leicht konnte es durch einen Funken in Brand geraten. Wie sie es auch drehte und wendete: es schien keine praktikable Lösung zu geben. Aber sie hatte Zeit. Vielleicht fiel ihr später etwas ein.
    »Ich habe mir überlegt, einen kleinen Abstecher nach Inuyara zu machen und dort ein, zwei Tage zu bleiben, sobald wir in Sunaru fertig sind«, sagte Rondar, während er die Karte zusammenfaltete und zurück in die Hülle steckte. »Ein alter Freund liegt mir schon seit Ewigkeiten in den Ohren, ihn endlich zu besuchen, und die Gelegenheit bietet sich an.« Er lächelte. »Ich bin mir sicher, du wirst die Stadt interessant finden.«
    Ishiras Enttäuschung verwandelte sich in Erregung. Nicht im Traum hätte sie sich vorgestellt, jemals eine goharische Stadt zu betreten. Bestimmt konnte sie dort mehr über die Eroberer lernen als irgendwo sonst. Der Name der Stadt klang allerdings nicht besonders goharisch. »Gab es die Stadt schon vor der Eroberung, Deiro?«
    Er nickte. »Inuyara ist eine alte Stadt. Früher war sie der Sitz der inagischen Herrscher. Es stehen sogar noch einige Häuser aus der damaligen Zeit.«
    Ishira schnappte nach Luft. Häuser aus der Zeit vor der Eroberung. Sie würde sehen, wie ihre Vorfahren gelebt hatten. »Wie groß ist Inuyara?« wollte sie wissen.
    »Wesentlich größer als alle Orte, die du bisher gesehen hast. In der Hauptstadt leben viele Tausend Menschen.«
    Wieder diese unbekannte Größenbezeichnung. »Was bedeutet ‚Tausend‘?« erkundigte sie sich.
    »Zehnmal hundert«, erklärte Rondar. »Denk an fünf Minensiedlungen von der Größe Soshimes, dann hast du es etwa.«
    Ihr schwindelte bei dem Versuch, sich so viele Menschen gemeinsam an einem Ort vorzustellen. Und Soshime war noch nicht einmal die einzige Stadt! Sie hätte nie gedacht, dass so viele Gohari auf Inagi lebten.
    Ein unerfreulicher Gedanke kreuzte ihren Geist. Was, wenn die Inagiri den Eroberern zahlenmäßig gar nicht überlegen waren und Kanhiros Plan auf falschen Voraussetzungen gründete?
    Ishira nahm sich vor, so viel wie möglich über Inuyara und die beiden anderen großen Ansiedlungen in Erfahrung zu bringen. Vor allem musste sie herausfinden, wie wehrhaft diese Städte und ihre Bewohner waren.

    * * *

    Der Abend von Ajirimasu, der Sommersonnenwende, zeigte sich von seiner besten Seite. Der Himmel war klar und die Luft mild. Die Inagiri hatten sich auf dem Dorfplatz versammelt, um den längsten Tag des Jahres zu feiern. Die Bergleute saßen lachend und schwatzend in kleinen Gruppen beisammen und ließen sich das Essen schmecken, das die Frauen am Vortag nach der Arbeit zubereitet hatten. In der Mitte des Platzes hatten die Männer einen großen Holzstoß errichtet, der später, wenn es dunkler war, angezündet werden würde. Junge Paare sprangen gern gemeinsam durch das Feuer, sobald es etwas heruntergebrannt war, um den Segen der Sonnengöttin zu erbitten.
    Kanhiro und Kenjin waren von Tasuke eingeladen worden, den Abend mit ihm und seiner Familie zu verbringen. Nach dem Essen forderte sein Freund ihn zu einer Partie Ujibo heraus. Kenjin und Seiichi

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