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Incarceron

Incarceron

Titel: Incarceron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Fisher
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vergewissern, dass es noch immer dort war. Es begann, mir Trost zu spenden. Ich fing an, mich davor zu fürchten, dass es verschwinden könnte, und ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass es mich verlassen würde. Das war die Zeit, in der ich anfing, mit dem Auge zu sprechen.«
    Â 
    Nicht einmal Keiro hatte er davon erzählt. Aber die Maestra saß so still und so nah bei ihm, und ihm stieg ihr tröstender Geruch nach Seife in die Nase. Einst musste auch er Derartiges gekannt haben, denn der Duft brachte ihn dazu, immer weiterzusprechen  – nun aber eher verbittert und widerwillig.
    Â»Hast du jemals mit Incarceron gesprochen, Maestra? In der dunkelsten Nacht, wenn alle anderen schlafen? Hast du ihm Dinge zugeflüstert und Gebete an ihn gerichtet? Hast du ihn je angefleht, diesem Albtraum von Leere und Nichts ein Ende zu bereiten? Das ist es nämlich, was die Zellgeborenen tun. Weil es sonst niemanden gibt auf der Welt. Incarceron ist die Welt.«
    Seine Stimme klang erstickt. Sorgsam darauf bedacht, ihn nicht anzuschauen, antwortete die Maestra: »Ich war niemals so allein. Ich habe einen Ehemann. Und ich habe Kinder.«
    Er schluckte und spürte, wie Zorn an seinem Selbstmitleid nagte. Vielleicht spielte auch sie ihr Spiel mit ihm. Er biss sich auf die Lippen und schob sich die Haare aus der Stirn. Er wusste, dass sie nass waren, aber das war ihm gleichgültig. »Nun, dann kannst du von Glück sagen, Maestra, denn ich hatte niemand anderen als das Gefängnis, und das Gefängnis hat ein Herz aus Stein. Aber nach und nach begann ich zu begreifen, wie riesig dieser Kerker ist und dass ich in seinem Inneren lebe. Dass ich eine winzige, verlorene Kreatur bin und dass er mich verschlungen
hat. Ich bin sein Kind, und das Gefängnis ist mein Vater. Seine unermessliche Größe ist jenseits des Vorstellbaren. Als ich mir dessen wirklich sicher war, so sicher, dass ich wie betäubt in Schweigen verfiel, da öffnete sich die Tür.«
    Â 
    Â»Ach, es gab eine Tür?« Ihre Stimme troff vor Sarkasmus.
    Â»Ja, da war eine Öffnung. Die ganze Zeit schon. Sie war winzig und in der grauen Wand gar nicht zu erkennen gewesen. Eine lange Zeit  – vielleicht einige Stunden  – starrte ich nur auf dieses dunkle Rechteck und fürchtete mich vor dem, was hereindrang. Ich hatte entsetzliche Angst vor den schwachen Lauten und den Gerüchen von der anderen Seite. Schließlich jedoch brachte ich genug Mut auf, um dort hinzukriechen und hinauszuspähen.«
    Er wusste, dass die Maestra ihn nun ansah, verschränkte die Hände ineinander und fuhr fort. »Das Einzige, was es jenseits der Tür zu sehen gab, war ein röhrenförmiger, weißer Korridor, der von oben erleuchtet war. Er führte schnurgerade in zwei Richtungen, und es gab keine Öffnungen darin, ebenso wenig ein Ende. Die Wände schienen sich in der Ferne zu verengen und verschwanden im Dämmerlicht. Ich quälte mich auf die Beine …«
    Â»Also konntest du bereits laufen?«
    Â»Nur mit Mühe. Ich hatte nur wenig Kraft.«
    Sie lächelte freudlos. Eilig fuhr er fort. »Ich stolperte weiter, bis mich meine Füße nicht mehr weiter trugen, doch der Gang war noch ganz genauso gerade und glatt wie vorher. Die Lichter verloschen, und nur die Augen beobachteten mich. Wenn ich eines hinter mir gelassen hatte, dann erwartete mich schon ein anderes, und das gab mir Trost. Ich war dumm genug zu glauben, dass Incarceron über mich wachte und mich auf diese Weise in Sicherheit führte. In dieser Nacht schlief ich dort, wo
ich zu Boden gesunken war. Bei Lichtan lag ein Teller mit fader, weißer Nahrung neben meinem Kopf. Ich aß und lief weiter. Zwei Tage lang folgte ich dem Gang, bis ich zu der Überzeugung kam, dass ich auf der Stelle trat und nirgends hingelangen würde und dass sich stattdessen der Korridor selbst bewegte und an mir vorbeiglitt. Ich war sicher, ich befand mich in einer entsetzlichen Tretmühle und würde für immer und ewig weiterlaufen müssen. Bei dieser Erkenntnis hieb ich gegen die steinerne Wand. In tiefster Verzweiflung schlug ich dagegen. Sie öffnete sich, und ich fiel hinaus. Hinaus in die Dunkelheit.«
    Â 
    Er schwieg so lange, bis sie fragte: »Und hier hast du wieder zu dir gefunden?«
    Gegen ihren Willen war sie fasziniert von seinem Bericht. Finn zuckte mit den Schultern. »Als ich zu mir

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