Incarceron
einem ungleichmäÃigen, stacheligen Igelschopf abgehackt. Ganz offensichtlich war sie halb krank vor Sorge. Claudia versuchte verzweifelt, sich etwas einfallen zu lassen, und fragte: »Was soll ich denn dabei tun? Ihr müsst ihn da rausholen!«
»Wie kommst du auf die Idee, dass das in unserer Macht steht?«, erwiderte Keiro gelassen.
»Ihr habt keine andere Wahl.«
Ein Ruf ertönte auf dem Hof des Gasthauses, und Claudias
Blick flatterte nervös. »Euch bleibt nichts anderes übrig, weil Finn der Einzige ist, mit dem ich sprechen werde.«
»Du magst ihn wohl, was? Und wer bist du überhaupt?«
Claudia funkelte Keiro an. »Der Hüter von Incarceron ist mein Vater.«
Keiro schnaubte. »Was denn für ein Hüter?«
»Er⦠beaufsichtigt das Gefängnis.« Ihr wurde kalt. Die Verachtung in der Stimme des fremden Jungen war ihr durch Mark und Bein gegangen. Rasch fuhr sie fort. »Vielleicht kann ich Aufzeichnungen über das Gefängnis auftreiben, eine Karte mit seinen Geheimgängen, Türen und Korridoren, sodass wir einen Ausweg für euch finden. Aber ich werde euch nichts davon erzählen, bis ich nicht Finn wiedergesehen habe.«
Ihre vagen Versprechungen waren eine Lüge, bei der Jared aufgestöhnt hätte, aber Claudia hatte sich nicht anders zu helfen gewusst. Sie vertraute diesem Keiro nicht; er war zu arrogant, und das Mädchen schien wütend und verängstigt zu sein.
Keiro zuckte mit den Achseln. »Was ist denn schon so Besonderes an Finn?«
Claudia zögerte, dann antwortete sie: »Ich glaube ⦠Ich glaube, dass ich ihn wiedererkannt habe. Er ist jetzt älter und sieht anders aus, aber da ist etwas an ihm, an seiner Stimme ⦠Wenn ich recht habe, dann ist sein wahrer Name Giles, und er ist der Sohn einer ⦠ziemlich wichtigen Person hier drauÃen.« Sie wollte nicht zu viel auf einmal preisgeben; es sollte nur ausreichen, um Keiro zum Handeln zu bewegen. Finns Eidbruder starrte sie verblüfft an. »Willst du mir erzählen, dass dieser ganze Quatsch, Finn würde von auÃerhalb stammen, am Ende wahr ist? Dass dieses Mal an seinem Handgelenk tatsächlich was zu bedeuten hat?«
»Ich muss jetzt aufbrechen. Und ihr müsst Finn befreien.«
Keiro verschränkte seine Arme. »Und wenn ich das nicht schaffe?«
»Dann kannst du die Magie der Sterne vergessen.« Claudia schaute zu dem Mädchen, und einen kurzen Moment lang fanden sich ihre Blicke. »Dieser Schlüssel wird danach nichts mehr als ein wertloses Stück Kristall sein. Aber wenn du wirklich sein Bruder bist, dann wirst du ihn retten.«
Keiro nickte. »Das bin ich.« Mit seinem Kinn deutete er auf Attia. »Vergiss sie. Sie ist verrückt und hat keine Ahnung.« Seine Stimme war jetzt leise und ernsthaft. »Finn und ich sind Brüder, und wir halten einander den Rücken frei. Immer.«
Attia schaute Claudia an; ihr Gesicht war zerschrammt, und Zweifel standen in ihren Augen. »Ist Finn mit dir verwandt?«, fragte sie leise. »Dein Bruder? Dein Cousin?«
Claudia zuckte mit den Schultern. »Nur ein Freund. Ein Freund, das ist alles.« Ãberstürzt schaltete sie das Sichtfeld aus.
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Der Schlüssel schimmerte in der übel riechenden Dunkelheit. Sie schob ihn zurück in die Rocktasche ihres Kleides und rannte hinaus, denn mehr als alles andere brauchte sie frische Luft. Alys stand besorgt auf dem Flur herum, während die Dienstboten mit Tabletts und Geschirr an ihr vorüberhasteten.
»Oh, da bist du ja, Claudia. Earl Caspar sucht schon nach dir.«
Claudia konnte bereits seine dünne, nervtötende, zänkische Stimme überdeutlich hören. Zu ihrem Unbehagen sah sie, dass es Jared war, auf den er einredete. Lord Evian war ebenfalls dabei. Die drei saÃen auf Bänken in der Sonne, und die Hunde des Gasthauses hatten sich erwartungsvoll zu ihren FüÃen niedergelassen.
Claudia trat vor die Tür und ging über das Kopfsteinpflaster zu ihnen hinüber.
Sofort stand Evian auf und machte eine formvollendete Verbeugung. Jared rutschte schweigend ein Stück zur Seite, um
Platz für sie zu machen. Caspar bemerkte vorwurfsvoll: »Ihr geht mir aus dem Weg, Claudia.«
»Natürlich nicht. Warum um alles in der Welt sollte ich das tun?« Sie setzte sich und lächelte. »Wie nett! Alle meine Freunde sind
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