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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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streckte, und bog sie sehr sanft wieder nach unten.
    – Du musst nicht so schreien, sagte sie. Ich wollte dich nicht beleidigen.
    – Ich will, dass du es sagst, sagte Robert.
    Ihr Gesicht und ihre Augen waren sehr nahe. Das war ein Problem. Robert musste zu Boden blicken. Ich habe Gäste. Ich mache mich vor ihnen lächerlich. Sie spürte seine Spannung und ließ ihn los, trat einen Schritt zurück.
    – So etwas würde ich nie sagen, sagte sie.
    – Nein, sagte Willi sanft.
    – Was würdest du nie sagen?
    Sie seufzte.
    – Ich bin mir sicher, sagte sie. Hörst du? Ich bin mir absolut sicher, dass es nichts mit seiner Arbeit damals zu tun hatte. Das ist alles, was ich dazu sagen werde.
    Wie hieß die weibliche Form von Feigling? Feiglingin. Du feige Sau. Aber das war zu stark. Wieder eine Lücke im Vokabular entdeckt. Und das mit neunundzwanzig. Indigo-Gap.
    – Mit seiner Arbeit damals, sagte Robert. Im Institut, meinst du. Oder? Bei uns. In unserer Nähe. In der Zone – 
    – Robert, bitte. Bitte.
    Sie hatte beide Hände gehoben. Beschwichtigende Geste. Damals, in der Helianau, da hatten sie sich so begrüßt. Du stemmst die Hände gegen die Luft und drückst die unsichtbare Säule zwischen dir und dem anderen zusammen. Nach etwa einem Jahr konnte er es spüren, den Widerstand der Luft. Eine sanfte Wölbung, imaginär und wohltuend, gegen die Handfläche, immer um ein paar Grad wärmer als die unberührt gebliebene Luft der Umgebung.



3  Das Helianau-Institut
    Ich bin oft mit dem Zug daran vorbeigefahren, an diesem mächtigen Gebäude, das direkt aus einem Berghang zu wachsen scheint. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die Bäume, die das Anwesen umstehen, und den Efeu, der es in Teilen bewächst. An sonnigen Tagen blitzen von einem bestimmten Punkt aus alle Fenster zugleich auf – als finde eine Explosion in seinem Inneren statt.
    Ich saß in einem offenen Abteil und las in meinem Lieblingsroman, Die Känguruhhefte von Kobo Abe, und hörte mir in Endlosschleife Looking for Freedom von David Hasselhoff an. Mir gegenüber saß ein Mann, der eine Mineralwasserflasche auf dem kleinen Tischchen vor sich stehen hatte. In den zahlreichen Kurven der Semmering-Strecke wanderte die Flasche auf dem Tisch ständig von links nach rechts, und der Blick des Mannes war so intensiv und starr (er trug statt einer normalen Brille einen altmodischen Zwicker auf der Nase), dass es wirkte, als kontrolliere er die Bewegungen der Flasche auf telepathischem Weg.
    Man holte mich an der Station Payerbach-Reichenau ab. Ein schnauzbärtiger Mann, der einen mit Filzstift gemalten Kreis auf der Wange trug, stieg aus einem schwarzen VW-Bus und begrüßte mich.
    – Sie sind Herr Setz?
    – Ja, sagte ich.
    – Bitte.
    Er öffnete die Seitentür des VW-Busses und bedeutete mir, einzusteigen. Ich machte es mir auf der Sitzbank zwischen einem Haufen Plastiksäcke bequem. In den Säcken befanden sich, soweit ich das erkennen konnte, Bücher und Spielzeug, auch Wäschestücke waren darunter. Nach einigen Minuten begannen mir diese Gegenstände ein unangenehmes Gefühl zu vermitteln.
    Wir fuhren über einen kurvenreichen Weg talwärts, etwas später stieg die Straße wieder an, und wir erreichten den Bergrücken. Je näher wir dem riesigen Gebäude mit seinen blinkenden Fenstern kamen, desto unruhiger wurde ich. Zuerst schob ich es auf den mir unangenehmen Inhalt der Plastiksäcke (ich hatte den Eindruck, dass es sich bei den bunten Wäschestücken um Kostüme für eine Faschingsfeier handelte), auf die stickige Luft im Wagen und die alle paar Sekunden von links nach rechts wechselnde Fliehkraft in den Kurven.
    Dann ging es eine Weile mehr oder weniger geradeaus, auch das Tempo schien nicht mehr so halsbrecherisch wie zuvor, und dennoch wurde mir auf einmal speiübel, ich fasste nach vorne und tippte dem Fahrer auf die Schulter.
    – Bitte, könnten Sie anhalten, ich …
    Wir wechselten einen Blick im Rückspiegel, an dem bizarrerweise eine kleine Nagelfeile baumelte, und ich sah an dem Ausdruck seiner Augen, dass er sofort verstanden hatte. Das Innere seines Wagens war in Gefahr. Er wurde langsamer, fuhr rechts ran und machte den Motor aus. Ich öffnete die Seitentür, stürzte aus dem Wagen und beugte mich vor, weil ich glaubte, mich übergeben zu müssen.
    Der Chauffeur ging mit ruhigen, langsamen Schritten einmal um den Wagen herum und stellte sich zu mir.
    – Die Nerven, sagte er.
    Ich ließ die kühle,

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