Indigo (German Edition)
allein auf.
Ich betrat das Gebäude und fand mich in einem kleinen Vorraum wieder, links gab es eine Kabine wie beim Ticketverkauf in einem Museum, rechts ein hohes geschlossenes Portal. Ich ging auf die Kabine zu, in der ich niemanden erkennen konnte, und blickte hinein. Ein Kopf mit einer Semmel im Mund tauchte auf. Ohne die Semmel aus dem Mund zu nehmen, lächelte er und begrüßte mich mit einem Nicken. Er deutete auf ein Mikrophon, das aus der Wand ragte und über das ich mit ihm kommunizieren sollte.
– Hallo!, rief ich. Mein Name ist Setz! Ich habe einen Termin! Um –
– Ja, sehr schön, kam die Stimme aus dem Lautsprecher neben dem Mikrophon. Willkommen, äh … in … warten Sie … in einer Minute, ja?
Er verschwand durch eine Tür im Hintergrund. Ich blieb stehen und starrte auf die Bissspuren in der Semmel, die jetzt auf dem kleinen Schreibtisch lag. Daneben stand eine wie ein Kühlturm eines Atommeilers geformte Thermoskanne, ein Laptop und ein dickes PONS-Wörterbuch Englisch / Deutsch. Hinter dem Schreibtisch stapelten sich Kartons, daneben ein Feuerlöscher, an der Wand hing ein Kalender mit Elis-Puppenbildern. Ich überlegte, ob ich mit meinem Handy ein paar Fotos machen sollte, aber dann entschied ich mich dagegen, weil der Raum womöglich videoüberwacht wurde.
Nach einer Weile kehrte der Portier zurück. Er betätigte einen Schalter, und das Portal ging auf. Dann verschwand er wieder im Hintergrund und trat durch das Portal auf mich zu. In der Handhielt er einen kleinen Besucherpass, den ich mir um den Hals hängte.
– Haben Sie irgendwelche Dinge eingesteckt wie Pfefferspray, Elektroschocker, Messer …
– Nein.
– Die Jacke müssen Sie bitte hierlassen, schauen Sie, ich gebe Ihnen einen Coupon dafür.
Ich zog die Jacke aus und reichte sie ihm. Dafür bekam ich ein kleines Stück Papier mit einer Nummer darauf: 7/44.
Dr. Otto Rudolph, der Leiter des Helianau-Instituts, ist emeritierter Professor für Pädagogik an der Universität Klagenfurt. Er ist außerdem Schirmherr der mit der Verbreitung von Lernmaterialien in unterentwickelten Ländern befassten wohltätigen Organisation Neue Benjamenta. Er hat einen festen, Entschlossenheit vermittelnden Händedruck.
Als ich ihn zum ersten Mal sah, kam er mir vor wie etwas, das ursprünglich in einer vollkommen anderen Form existiert haben musste. Er schien ein wenig zu hell, auch der Kontrast in seinem Gesicht war merkwürdig eingestellt. Man bekam Lust, an imaginären Reglern herumzuspielen und damit seine Farbzusammenstellung zu verändern. Nur seine Augen waren unauffällig, gewöhnlich. Ein blasses Blau. Als hätte sein Erschaffer sie als Erstes gebaut und für die Konstruktion des Rests einen Lehrling herbeigewinkt.
– Freut mich, dass Sie gekommen sind, Herr Setz, sagte er.
– Ich freue mich.
– Sie haben Glück, sagte Dr. Rudolph. Professor Sievert ist ein alter Bekannter von mir.
– Ah, das wusste ich nicht.
– Normalerweise gibt es eine Warteliste für das Institut. Aber in Ihrem Fall …
Er machte eine kecke Flattergeste mit beiden Armen.
Direkt neben dem Hauptgebäude wuchs ein großer Baum schräg aus der Erde, wegstrebend vom Haus. Er sah aus wie ein Limbotänzer, der versucht, unter dem ersten Stockwerk durchzukommen.
In einiger Entfernung entdeckte ich eine kleine getigerte Katze, die auf einem Holzpflock saß wie eine unbewegliche Kerzenflamme.
– Da, sagte ich zu Dr. Rudolph.
– Was?
– Eine Katze.
Er nickte und ging weiter.
Im Gehen winkte ich der Katze zu, die mir mit ihrem Blick folgte.
– Die Schüler haben hier alle ihren Freiraum, sagte Dr. Rudolph. Den Platz, den sie brauchen. Wenn eines der Kinder transportiert werden muss, dann nehmen wir den Bus hier.
– Und dann sitzt es in der hintersten Reihe?
Dr. Rudolph deutete ein Nicken an.
– Es geht nicht darum, die Kinder unserem Proximitätsverständnis zu unterwerfen, sondern ihr eigenes zu respektieren. Und das ist, leider, muss man sagen, wirklich nur in Instituten wie diesem hier möglich. Hier haben sie eine soziale Struktur, auf die sie sich verlassen können. Eine Einbettung und … die geht auch nicht bei der ersten kleinen Irritation den Bach runter.
– Wie viel kostet denn die Unterbringung im Jahr?
Zuerst zog Dr. Rudolph eine Grimasse, als ekelte ihn vor dieser Frage, aber dann hob er die Hände und sagte:
– Die Grundgebühr, die die Eltern zahlen, liegt bei zwanzigtausend Euro im
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