Indische Naechte
totaler Finsternis und Einsamkeit hat mir den Rest gegeben. Später war ich erstaunt, als ich hörte, ich sei nur sechs Monate allein gewesen. Mir kam es viel länger vor — wie Jahre.«
»Wie hast du nur in dem Zustand, in dem du warst, die anstrengende Flucht durch die Wüste geschafft? Schon für gesunde Menschen ist das eine Tortur.«
»Ich hatte keine Wahl«, antwortete er einfach. »Ich konnte mich zusammenreißen oder sterben. Was aber noch schlimmer gewesen wäre: Schwäche hätte meine Gefährten gefährdet, weil sie die Flucht verlangsamt hätte. Ross mußte mich am Anfang allerdings aufs Pferd binden. Je länger ich draußen war, desto kräftiger wurde ich. Wenigstens körperlich. Dummerweise ist es immer schwieriger, den mentalen Schaden zu heilen. Manchmal scheint es mir unmöglich.«
»Ich denke, daß deine Kraft, dein Mut und deine Offenheit nicht nur Illusion sind.«
»O doch, das sind sie«, erwiderte Ian barsch. »Ich fühle mich, als wäre ich hohl - ein Schauspieler, der vorgibt zu sein, was andere von ihm erwarten. Tapfer und stark zu sein, zum Beispiel.«
Seine Worte standen so im Gegensatz zu dem Bild, das Laura von ihm hatte, daß sie erst nicht wußte, wie sie reagieren sollte. Schließlich sagte sie zögernd: »Ich bin vielleicht nur eine schwache Frau, vielleicht kann ich es also nicht begreifen, aber was ist denn bitte der Unterschied zwischen so tun, als ob man Mut besitzt, und ihn wirklich zu haben? Gestern vor dem Mob schienst du mir mutig genug.«
»Das war auch nicht schwer. Echter Mut bedeutet, die Finsternis in der eigenen Seele zu besiegen.« Er seufzte bebend. »Und das schaffe ich nicht.«
Seine Worte waren gequält aus einsamen, öden Tiefen hervorgekommen, die, das wußte Laura, jenseits ihres Begriffsvermögens lagen. Traurig akzeptierte sie, daß sie niemals würde gänzlich verstehen können, was er durchgemacht hatte. Aber sie konnte ihm deutlich machen, daß er nicht mehr allein war — daß er niemals mehr allein sein mußte, solange er lebte. Sie wandte ihm den Kopf zu und legte ihre Lippen auf seinen Mund.
Er hielt schlagartig den Atem an, und sein Körper versteifte sich. Dann glitt seine Hand um sie herum und blieb warm auf ihrem Poansatz liegen. Als er sie fest an sich zog, öffnete sich ihr Mund unter dem Druck seiner Lippen, und er lockte mit seiner Zunge ihre Zähne auseinander. Der Kuß, der folgte, war vollkommen anders, als Laura sich hatte vorstellen können — süßes Besitzergreifen und ein flammendes Feuer -, und sie hieß ihn mit erstauntem Entzücken willkommen.
Als sie reagierte, entrang sich ein tiefer Laut seiner Kehle, und er rollte sie auf ihren Rücken, hüllte sie ein mit seiner Kraft. Wie ausgeliefert nahm sie alles, was er ihr bot, und gab das Geschenk nach besten Kräften zurück. Obwohl sie sich dumpf bewußt war, daß ihr Benehmen unklug sein konnte, kümmerte es sie nicht. Hier in der Intimität absoluter Dunkelheit lagen Freiheit und Sicherheit. Sie konnte so tun, als ob dieser Wahnsinn nicht wirklich geschah — daß sie außerhalb der Zeit existierten, wo sie Dinge tun konnten, die bei Licht undenkbar gewesen wären.
Und die Dunkelheit hatte einen angenehmen Nebeneffekt, denn alle ihre Sinne waren geschärft. Sie war sich dem rauhen Geräusch seines Atems bewußt, dem schwachen Knistern seiner Haut über dem dünnen Stoff. Er duftete nach Moschus und Mann, ein Duft, der ganz sein eigener war, verwoben mit einem Hauch von nächtlichem Regen und Holzfeuer. Berauschend. Und er schmeckte so sinnlich, so unfaßbar sinnlich. Die Dunkelheit verzauberte den Kuß in einer Dimension, die sie niemals vergessen würde.
Ohne die Ablenkung durch das Sehen, steigerte sich die Berührung zu einem betäubenden Universum aus Empfindungen und sinnlichen Reizen. Die Körperwärme war greifbar, und seine Lippen ertasteten ihr Ohr, ihre Hände griffen in sein weiches Haar. Fühlte sich dunkles Haar anders an als helles? Sie wußte es nicht und wollte auch kein anderes Haar berühren außer dem seinen. Ihre Fingerspitzen strichen über sein Kinn, seinen Kiefer, verweilten auf dem Ansatz der Koteletten und nahmen jeden Unterschied zwischen männlich und weiblich in sich auf.
Sein Leinengewand fühlte sich rauh an. Sie schob ihre Hände unter den Stoff, strich über seine breiten Schultern, ertastete die Höhlung an seinem Schlüsselbein und wanderte mit beiden Handflächen über seine muskulöse Brust. Kleine Locken, das Spiel der harten Muskeln
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