Inferno
reingepumpt haben.
Allmählich beruhigte sie sich wieder.
Es gibt keine Via. Es gibt kein totes Mädchen.
Erneutes Zögern. Sie konnte einfach in ihr Zimmer gehen und das Tape anhören, oder …
Sie stieg die Treppe hinauf. Alle paar Stufen knarrte das Holz unter ihren Füßen. Ein Frösteln kroch über ihre Haut; wenn die Geschichte stimmte, dann ging sie jetzt denselben Weg wie Fenton Blackwell – mit den Babys.
Nur wenige Lampen leuchteten im dritten Stockwerk. Die Flure auf beiden Seiten lagen in verschwommener Dunkelheit.
Ein weiterer Blick nach oben. Noch tiefere Dunkelheit.
Der letzte Treppenabsatz war ohne Teppich und viel schmaler. Als sie auf einen Lichtschalter an der Wand drückte, leuchtete nur eine trübe Birne über ihr auf.
Eine Stufe, Pause, noch eine Stufe.
Jetzt komm schon! Sei nicht so ein Feigling! Was? Du glaubst, da oben sind Leute? Ich bitte dich!
Rasch kletterte sie die restlichen Stufen empor. Das Oculus-Zimmer hatte keine Tür; die Treppe führte einfach genau hinein.
Na also. Siehst du?
Eine nackte Glühbirne erleuchtete das Zimmer. Da war keine Via, keine Leute, die auf sie warteten. Drei Matratzen lagen auf dem staubigen Fußboden, was sie bei näherem Betrachten etwas beunruhigte. Spinnennetze hingen dekorativ in den Ecken des kleinen Raumes, die Wände schienen noch nie tapeziert worden zu sein, sie waren nur mit altem Holz verkleidet.
Das Oculus-Fenster starrte sie an wie ein merkwürdiges Gesicht.
Da erregte etwas ihre Aufmerksamkeit: An einer schiefen Wand stand ein alter Teetisch, und darauf ein verstaubter Kassettenrekorder.
Ihre Finger strichen über das Tape. Sie könnte es jetzt einlegen und direkt hier anhören. Doch als sie auf den Knopf drückte, um die Klappe zu öffnen, sah sie, dass schon eine Kassette eingelegt war.
Ihr Mut begann bereits zu sinken, als sie das Tape herauszog. ALDINOCH stand darauf.
Es war exakt dieselbe Kassette, die sie auch hatte.
Abrupt beschleunigte sich ihr Herzschlag. »Du darfst jetzt nicht durchdrehen«, redete sie sich betont langsam zu. »Es gibt dafür eine Erklärung. Reiß dich einfach nur zusammen.«
Sie schloss die Klappe wieder und drückte PLAY. Die unvermittelt dröhnende Lautstärke erschreckte sie; schnell drehte sie leiser.
Death Metal, wie sie vermutet hatte. Aggressive Gitarrenteppiche und disharmonische Synthesizer-Drums wogten vor und zurück über den rostigen Gesang:
»Inverting every cross toward Hell
This church is now the Goat’s!
Praise him, whores of holiness,
Before I slit your throats!«
Cassie verzog die Lippen, als hätte sie auf eine Zitrone gebissen. Sie mochte die Beats und die dichten Akkorde, aber der finstere Text störte sie.
Schon donnerte die nächste Strophe los:
»I have chosen my afterlife
And darkness it shall be
Satan!!! Open wide
The gates of Hell for me!«
Der Mix aus Gothic und Industrial mit Slasher-Texten war einfach nicht ihre Sache. Sie stellte den Rekorder ab. Aber was für eine Erklärung gab es für diesen seltsamen Zufall? Es war dasselbe Tape, das sie von dem Mädchen aus ihrer Wahnvorstellung bekommen hatte. Das Tape im Rekorder war real, genauso wie das in ihrer Hand.
Und es gab noch einen weiteren Zufall, oder etwa nicht?
Rein zufällig finde ich eine Kassette mit satanischer Musik … in einem Raum, in dem ein Satanist angeblich Babys geopfert hat.
Seufzend drehte sie sich um und fand sich genau vor dem runden Oculus aus buntem Glas. Ein schwaches Licht flimmerte durch ein rotes Stück Scheibe – zweifellos der Mond.
Etwas drängte sie, das Fenster zu öffnen. Quietschend bewegte sich das metallene Scharnier, als sie gegen den runden Rahmen drückte. Warme Luft strich ihr über das Gesicht; sie sah aus dem Fenster.
Und wurde sofort ohnmächtig.
Was sie beim Blick aus dem Fenster sah, war nicht die sanfte nächtliche Hügellandschaft.
Es war eine Stadt, kilometerweit entfernt und scheinbar grenzenlos. Eine Stadt, die sich gegen einen leuchtend purpurfarbenen Himmel abzeichnete.
Eine Stadt, die es nicht gab.
II
Als Cassie wieder aufwachte, war es, als tauchte sie aus einem Loch voll heißem Teer auf. Ein Teil ihres Bewusstseins drängte nach oben, und als sie die Augen öffnete, sah sie nur seltsam verschwommene Kästchen.
»Cassie?«
Die Stimme half ihr, sich zu sammeln; die Kästchen wurden schärfer. Das waren selbstverständlich die aufwändig geprägten Decken aus Messing und Zinn in ihrem Zimmer.
Sie lag unbeweglich auf ihrem
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