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Inferno

Inferno

Titel: Inferno Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lee
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Bett.
    »Cassie, Liebes, was ist los mit dir?«
    Die Stimme, zunächst noch wie aus weiter Ferne, gehörte ihrem Vater. Er beugte sich über sie, das Gesicht sorgenvoll.
    Langsam fügten sich Erinnerungsfetzen wieder zusammen.
    Ich war oben …
    Das Oculus-Zimmer.
    Der Atem schien ihr zäh in der Brust zu kleben.
    Diese … Stadt.
    Eine Stadt, die nicht existierte. Eine Stadt, so riesig, dass sie sich schier endlos hinzog. Die Südseite des Anwesens erstreckte sich über viele Kilometer offenes Ackerland bis hin zum allmählichen Anstieg eines Waldgürtels, der in den Bergen endete.
    Doch als sie aus dem Fenster gesehen hatte …
    Keine Berge, keine Äcker, keine Bäume.
    Stattdessen hatte sie eine Großstadtlandschaft gesehen, die so stark leuchtete, als sei sie auf Glut gebaut. Sie hatte ein sternenloses, glühend rotes Zwielicht gesehen. Sie hatte groteske, hell illuminierte Wolkenkratzer gesehen, umrahmt von dichten Rauchschwaden.
    Was WAR das?
    »Ich habe dich oben im Oculus-Zimmer gefunden«, berichtete ihr Vater. »Du warst ohnmächtig.«
    »Jetzt geht es mir wieder gut«, murmelte sie und richtete sich auf.
    »Ich sollte wohl besser einen Arzt rufen.«
    »Nein, bitte nicht. Es geht mir gut.«
    »Was hast du da oben in dem Raum gemacht, mein Liebling?«
    Was sollte sie ihm sagen?
    »Ich dachte, ich hätte etwas gehört. Ich war vorher noch nie da oben, also bin ich raufgestiegen.«
    »Du dachtest, du hättest etwas gehört ?«
    »Keine Ahnung, mir war eben so.«
    »Dann hättest du mich holen sollen.«
    »Ich weiß, aber ich wollte dich nicht stören. Tut mir Leid.«
    Ihr Vater saß auf dem Rohrstuhl neben ihrem Bett. Er wirkte angestrengt, was nicht verwunderlich war, da er Cassie offenbar die Treppe hinunter in ihr Zimmer getragen hatte. Sie log nicht gern, doch wie konnte sie ihm die Wahrheit sagen? Da oben in unserem Haus wohnen tote Leute, und der Himmel draußen ist rot. Ich habe eine Stadt gesehen, wo es keine Stadt GIBT.
    Sie wusste selber nicht einmal, was davon die Wahrheit war.
    Man sah an seinem gequälten Gesichtsausdruck, wie schwer es ihm fiel, die nächste Frage zu stellen. »Liebes, hast du wieder getrunken oder Drogen genommen? Wenn ja, dann musst du es mir sagen. Ich verspreche dir, nicht auszuflippen, aber ich muss es wissen.«
    »Nein, Dad. Ehrlich nicht.« Die Frage machte sie nicht so wütend wie früher. Nach all dem Mist, den ich gebaut habe, was soll er denn schon glauben? »Es muss die Hitze sein. Zu viel Sonne. Mir war schon den ganzen Tag ein bisschen schlecht.«
    Er tätschelte ihre Hand. »Soll ich dir irgendwas bringen?«
    »Nein, ist schon in Ordnung. Ich will einfach nur schlafen.«
    »Wenn es dir morgen nicht besser geht, sagst du es mir aber, ja?«
    »Ja.«
    »Ich lasse dann sofort deinen alten Arzt herschaffen.«
    »Dad, der ist in D.C.«
    Ihr Vater zuckte die Achseln. »Dann muss ich eben einen Helikopter chartern und ihn hierher fliegen lassen.«
    Ihr gelang ein kurzes Kichern. »Das traue ich dir zu. Aber mir geht’s gut, ich muss nur schlafen.«
    »Okay. Ruf mich, wenn du etwas brauchst.«
    »Mir geht’s gut«, wiederholte sie. »Tut mir Leid, dass ich so eine Nervensäge bin.«
    »Ja, aber du bist meine Nervensäge. Vergiss das nicht.«
    »Mach ich nicht. Geh jetzt wieder zu deinem Football, ich weiß doch, wie viel Spaß es dir macht, Leon Flander zu beschimpfen oder wie auch immer der Typ heißt.«
    Bei dieser Bemerkung ging er sofort wieder hoch. »Dieser stinkend faule, nichtsnutzige Tollpatsch! Er hat allein in der ersten Halbzeit zwölf Angriffe vermasselt!« Seine Stimme verhallte langsam, als er aus dem Zimmer und den Flur hinunterging. »Jesus Christus, ich bin ein fetter alter Mann, aber ich könnte noch besser attackieren als dieser ungeschickte Penner!«
    Wenigstens ist er wieder ganz der Alte.
    Sie rieb sich die Augen.
    Aber was ist mit mir?
    Sie streifte durch ihr Zimmer, erschöpft, aber gleichzeitig aufgedreht vor Sorge. Dann löschte sie das Licht, zog sich die Kleider aus, schlüpfte in ein kurzes Nachthemd und trat durch die Flügeltüren auf die Terrasse auf der Giebelseite. Nachtgeräusche umgaben sie – Grillen, Frösche -, und ein laues Lüftchen wehte. Sie blickte über die vom Mond erleuchtete Landschaft, und da war keine rauchende, glühende Stadt. Nur offenes Land und Wälder, die sich bis zu den scharf abgegrenzten Bergen erstreckten.
    Was hast du denn erwartet?
    Seufzend ging sie wieder hinein und legte sich ins Bett.

    Der Schlaf zog

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