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Inferno

Inferno

Titel: Inferno Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lee
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vermisse dich«, sagte sie zu dem winzigen ovalen Bild im Anhänger. »Bitte verzeih mir.« Lissa war ihre einzig wahre Freundin gewesen, und nun war sie für immer fort.
    Aber sie hatte jetzt neue Freunde, wie unmöglich die Umstände ihrer Begegnung auch sein mochten. Sie konnte die Existenz von Via, Xeke und Hush nicht länger leugnen, und diese Tatsache zu akzeptieren fiel ihr – aus unerklärlichen Gründen – nicht schwer. Ihr ganzes Leben lang hatte sie gewusst, dass sie anders als alle anderen war. Vielleicht war das der Grund. Xeke hatte sogar gesagt, es sei ihr Schicksal.
    Ätherkind , dachte sie.
    Sie wusste nicht, was das bedeutete, aber das war eigentlich auch egal. Sie hatte jetzt etwas zu tun, und diese Vorstellung war aufregend. Ihre Stereoanlage hämmerte leise im Hintergrund, während sie duschte und sich anzog. (Diesmal vergewisserte sie sich selbstverständlich, dass die Tür geschlossen war. Sie wollte nicht mehr als Kulisse für Jervis’ perverse Blicke dienen.) Die Sonne brannte heiß durch die Flügeltüren, als sie ihre Suche begann. Schmuck hatte ihr nie viel bedeutet, zudem hatte sie beim Umzug nicht viel mitgenommen. Doch sie hatte eine kleine, innen mit Samt ausgeschlagene Ringschachtel. Silber . Monatssteine , rief sie sich Vias Anweisungen ins Gedächtnis. In der Schachtel fand sie einige Silberarmbänder, ein Paar Onyxohrringe und einen alten Amethystanhänger an einer Silberkette. Sie konnte sich nicht vorstellen, was die anderen damit anfangen sollten – nichts davon war besonders wertvoll -, doch Cassie begann zu begreifen, dass die Dinge aus dem Blickwinkel der Toten nicht leicht zu erklären waren. Das Beste war, sich einfach alles zeigen zu lassen, und Cassie vermutete, dass das, was sie ihr heute Nacht zeigen wollten – die Stadt -, in der Tat ein unglaublicher Anblick wäre.
    Sie machte die Stereoanlage aus und ging aus dem Zimmer.
    Die Stadt . Wie hatte Via sie noch genannt? Die Mephistopolis? Ja, das war das Wort.
    Sie war sich außerdem sicher, dass es der Ort war, den sie letzte Nacht beim Blick aus dem Oculus gesehen hatte.
    Die tobende Stadt im blutroten Zwielicht, die den gesamten Horizont zu umfassen schien, gebaut auf flammenden Felstafeln.
    Cassie konnte die beklemmende Ahnung nicht abschütteln, dass dort etwas auf sie wartete.

IV

    Die richtigen Klamotten für den Sommer im ländlichen Süden zu finden, war definitiv eine Herausforderung (diese Umgebung war einfach nicht für sie gemacht). In D.C. sah sie um diese Jahreszeit kaum noch aus wie ein Goth – nicht mit dem üblichen Sonnenbrand, der sich langsam abschälte und zu leichter Bräune wurde.
    Ihre schwarzen Klamotten verschlimmerten die Hitze nur noch. Heute entschied sie sich für ein schwarzes Bikinioberteil und einen schwarzen Jeansrock. Die Flipflops würden voraussichtlich den ganzen Sommer lang das Schuhwerk ihrer Wahl bleiben. Wenigstens schien die Sonne ihr ohnehin gebleichtes Haar noch weiter auszubleichen, was wiederum die limonengrünen Strähnen abmilderte. Ich werde mich schon irgendwann an all das hier gewöhnen , redete sie sich ein.
    Doch nun, als sie an den finsteren Statuen vorbei die Treppe hinunterging, dachte sie über ihren bevorstehenden Auftrag nach.
    Knochen.
    Diese Bitte verblüffte sie noch mehr als die nach Silberschmuck, doch sie weigerte sich, sie infrage zu stellen. Unten angekommen, schlich sie ohne darüber nachzudenken leise durch die Räume, als wollte sie nicht gesehen werden. Ein rascher Blick in den hinteren Garten zeigte ihr ihren Vater, der versuchte, Mrs Conner das Golfspielen beizubringen. Wie süß , dachte sie leicht amüsiert.
    Mein Vater ist aber nicht wirklich scharf auf sie, oder?
    Durch einen weiteren Blick aus dem vorderen Bogenfenster vergewisserte sie sich, dass Jervis dabei war, die Blumenbeete einzufassen.
    Perfekt.
    Sie lief in die Küche, öffnete den Kühlschrank, dann die Gefriertruhe. Na super , dachte sie missmutig. Keine Knochen. Noch nicht einmal ein Steak oder ein gefrorenes Hühnchen. Sie hatte wirklich keine Lust, den ganzen weiten Weg in den Ort zu laufen, nur um im Müll hinter der widerlichen Imbissbude zu wühlen.
    Moment mal …
    Via hatte doch gesagt, jede Art von Knochen, oder?
    »Na dann«, sagte Cassie zu sich selbst. »Wollen wir mal.«
    Schon war sie auf den Knien und durchstöberte mit zugehaltener Nase den mit einer Plastiktüte ausgekleideten Küchenabfalleimer. Mann, das wäre ein toller Anblick, wenn jetzt jemand

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