Inferno
leichtgläubige Menschen in der Welt der Lebenden«, sagte Via. »Alles nur von Luzifers Hexentechnologien gespeist. Ouija-Boards, Telefonanrufe von den toten Verwandten, Trance-Channeler, die glauben, Nachrichten von Kurt Cobain aufzuschreiben, so Zeug. Alles gefälscht. Das wird alles hier hergestellt. Wenn Leute mit einem Ouija-Board rumspielen und überzeugt sind, mit ihrem toten Onkel Harry zu kommunizieren, dann sitzt in Wirklichkeit ein Nekromant am anderen Ende und manipuliert das Board, damit es echt wirkt. Erinnerst du dich noch an diesen Kerl, der behauptet hat, Mozart habe ihn kontaktiert, um seine letzte Symphonie zu vollenden? Damals hat man sogar die Handschrift mit Briefen und Notenblättern von Mozart verglichen, und alles passte zusammen. Aber in Wahrheit war es ein Techniker aus der Abteilung für Automatisches Schreiben, der alles gefälscht und diesem Debilen gechannelt hat.«
Cassie war verblüfft über diese Information. »Das ist ja faszinierend.« Sie kamen an einem weiteren Schild vorbei:
NTE-GENERATOREN
»NTE steht für Nahtoderfahrung«, fuhr Via fort. »Du hast sicher schon von dem Blödsinn gelesen. Das sind diese Leute, die durch Notfallmedizin ins Leben zurückgeholt werden, oder ertrinken und wiederbelebt werden – und alle erzählen hinterher von dem großen weißen Licht und all ihren Verwandten, die im paradiesischen Leben nach dem Tod auf sie warten.«
Cassie kannte diese Geschichten gut.
»Alles erfunden. Bildzauber werden auf die wiederbelebten Leute projiziert, und da die Metaphorik bei allen gleich ist, klingen ihre Geschichten glaubwürdig. Egal, ob die Menschen gut oder schlecht sind, Christen oder Juden oder Muslime oder Atheisten. Die Erfahrung ist dieselbe, deshalb liegt es nahe, dass uns alle ein wunderschöner, nicht-biblischer Ort vollkommenen Friedens erwartet, wenn wir sterben. Aber in Wirklichkeit ist alles nur ein Trick. Das Gleiche gilt für Entführung durch Außerirdische – totaler Quatsch. Bildzauber werden wahllos auf Leute in der Welt der Lebenden projiziert, die Bilder lassen sie glauben, sie seien von Aliens entführt worden. Wenn man die Menschen dazu bringt, an Außerirdische zu glauben …«
»Dann glauben sie nicht mehr an Gott.« Jetzt hatte Cassie kapiert. »Und wenn die Leute glauben, die Aliens sind real, dass Gott ein Mythos ist, dann lehnen sie die Vorstellung von der Erlösung ab.«
»Und sie landen postwendend hier, wenn sie sterben.«
Sie waren jetzt an dem unheimlichen Gelände vorbei. Cassie war absolut fasziniert; Luzifers Ideen waren ausgeklügelt, geradezu brillant. Sie fragte sich, wie viele Millionen schon von ihm getäuscht wurden.
Plötzlich zog Hush Cassie energisch mit sich; sie zappelte geradezu vor Aufregung.
»Hush liebt Schaufensterbummel«, erklärte Via.
Merkwürdige Ladenlokale reihten sich hier an der von Schwefel beleuchteten Straße auf. JEZEBELS SECRET stand in einem Fenster. Hinter der Scheibe dienten höllische Skelette als Schaufensterpuppen und führten die neueste Spitzenmode vor. HÖLLENKONKUBINE? PROSTITUIERTE? ODER EINFACH NUR REICHES MÄDCHEN? AUCH SIE KÖNNEN SEXY SEIN IN UNSEREN NEUEN DESSOUS AUS FEINSTER SARGWURM-SEIDE.
Auf dem nächsten Laden stand BUCHHANDLUNG DORNENKRONE, und im Schaufenster lagen verschiedenste Werke. Die Glyphen von Sheol, Les Cultes Des Ghoules , das Nekronomicon , das Judas-Evangelium . Daneben die Aufforderung: VERPASSEN SIE NICHT UNSERE NÄCHSTE SIGNIERSTUNDE: CAPOTE UND LOVECRAFT SIGNIEREN IHRE NEUESTEN WERKE PORTRAIT DES KÜNSTLERS IN DER HÖLLE UND SCHATTEN ÜBER PROSPECT STREET .
Zwischen den beiden nächsten Geschäften hockte ein Gremlin vor einem Dämon im Smoking; nur putzte er ihm nicht die Schuhe, sondern er schärfte ihm die Hörner. Ein weiterer Gremlin verkaufte an einem fahrbaren Stand etwas Geröstetes. Cassie bezweifelte, dass es Kastanien waren.
Fernseher mit großen Leinwänden waren im nächsten Fenster ausgestellt, alle mit komischen ovalen Bildschirmen. Nicht gerade Sony , dachte Cassie. Die körnigen Bilder flackerten in verwaschenen Farben. Auf einem Fernseher lief offenbar ein Bikini-Wettbewerb mit dämonischen Wettbewerberinnen, auf dem nächsten eine Spielshow.
»Und was verbirgt sich hinter Tür Nummero drei?«, verkündete ein gut aussehender Mensch mit Haken statt Händen. Das Tor hob sich und enthüllte eine Folterkammer, komplett mit zappelnden, auf mit Stacheln bewehrte Folterbänke angeketteten und zitternden Körpern. Der nächste
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