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Inkarnationen 02 - Der Sand der Zeit - V3

Titel: Inkarnationen 02 - Der Sand der Zeit - V3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Anthony
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andere auch. Er war einsam, weil er häßlich war; es kamen nicht viele Leute
in dieses Gebiet.
Sein Blick schweifte über die Graffiti auf der gegenüberliegenden Mauer. Mit träger Neugier
studierte er sie. Die meisten trugen eine männliche Handschrift, groß, dunkel und grob, sowohl
von ihrer Ausführung als auch von ihrer Planung her: Schimpfwörter, die sexuelle und fäkale Ideen
beschrieben, als hegte die Menschheit eine hoffnungslose Wut auf das Universum und als sei sie
dazu entschlossen, es mit aller Macht in den Schmutz zu ziehen. Diese Graffiti waren im Prinzip
eine Vergewaltigung des Betrachters, Überfälle auf jedwede Empfindlichkeit, die ein
Vorübergehender besitzen mochte. Hier war nichts von Schönheit oder Sanftheit oder Fürsorge,
sondern lediglich Häßlichkeit.
Norton schämte sich, ein Mensch zu sein. Doch eines fiel ihm auf: Die Wörter waren nicht
rückwärts geschrieben. Zwar war die Zeit umgekehrt worden, nicht aber der Raum. Wenn er sich also
wirklich mit jemandem unterhalten mußte, könnte er es durch Schreiben tun. Das hatte Lachesis
auch getan, als er seine Karriere als Chronos begonnen hatte; sie hatte es gewußt.
Es gab auch ein paar weibliche Kundgebungen. Diese waren klein, säuberlich und höflich und
schienen echte Versuche der Kommunikation darzustellen. »Mein John meidet mich, aber ich liebe
ihn immer noch. Was soll ich tun?« fragte eine Aufschrift klagend. Darunter stand eine Antwort in
einer anderen weiblichen Handschrift: »Meiner auch; es tut weh.« Und eine weitere: »Nur
durchhalten, Schwester; er wird die Schlampe schon bald leid sein.« Und eine weitere: »Wer will
ihn dann noch haben? Ein Gebrauchtgegenstand!« Und eine letzte: »Wen nennst du da eine Schlampe?«
Norton mußte lächeln. Die Gesellschaft dieser anonymen, aber leidenden Frauen gefiel ihm besser
als die seiner eigenen Geschlechtsgenossen; wenigstens schienen sie empfindsam und menschlich zu
sein.
Er bemerkte, daß keine Inschrift ausradiert worden war. Alle schienen dieses Gesetz zu
respektieren: Du sollst keines anderen Botschaft ausradieren. Es war in Ordnung, auf die eine
Nachricht mit einer widersprüchlichen zu antworten, nicht aber, das Original zu zerstören.
Innerhalb der großen Mitteilungen standen kleinere; vieles überlappte sich, doch nichts störte
das andere wirklich. Dies war die freie Gesellschaft schlechthin!
Von einem merkwürdigen Gefühl angespornt, stand er auf, schritt zu der Mauer hinüber, suchte im
Schutt am Boden ein Stück Kreide und schrieb unter die weiblichen Botschaften: »Dieser John liebt
dich, nicht die Schlampe.«
Er kehrte zur Treppe zurück. Ob die Frau, die als erstes an die Mauer geschrieben hatte, jemals
sehen würde, was er ihr anbot? Ob es ihr irgend etwas bedeuten würde? Dennoch mußte er, so
schwach dies auch sein mochte, im Namen seiner Geschlechtsgenossen etwas sagen.
Er musterte die Mauer - seine Inschrift war verschwunden! Erschrocken spähte er genauer hin, dann
erkannte er, daß sich ihr Verschwinden erklären ließ: Er und die Welt bewegten sich rückwärts in
der Zeit, so daß seine gegenwärtige Situation seiner Nachricht auf der Mauer voranging. Seine
Worte würden schon noch erscheinen, sobald die Zeit wieder ihren gewohnten Gang lief.
Aber die Nachricht war noch nicht dort gewesen, als er sich zuerst hingesetzt hatte!
Da begriff er: Er war kein gewöhnliches Mitglied dieser Szene. Was er tat, war keine Umkehr
dessen, was er zuvor getan hatte; es war etwas Neues. Insofern änderte er tatsächlich auf ganz
bescheidene Weise die Realität. Seine Inschrift hatte noch nicht existiert, bevor er sie
aufgezeichnet hatte, doch nun tat sie es - das hieß, sie würde existieren, wenn die Normalzeit
wieder anfing, er war schließlich von Paradoxien ausgenommen. Für die Inkarnationen galten keine
gewöhnlichen Regeln. Langsam lernte er seinen Beruf.
Zur Rechten kam ein heruntergekommener Hund, eine Promenadenmischung, rückwärts auf ihn zu. Das
Tier lief zu einem Abfallhaufen und trabte dann an Norton vorbei zu einem Mülleimer zur Linken.
Da erschien ein Dämon, rückwärts gehend. Dieser war größer als der andere vor der Pillenflasche.
Sie suchten nach ihm! Das mußte bedeuten, daß Satan eine Vorstellung von dem hatte, was
hier geschah. Das Rückwärtsfließen der Zeit mußte ihm einen Hinweis gegeben haben! Wie er
vorhatte, Chronos aufzuhalten, war ein Geheimnis - doch Satans Gerissenheit und Macht waren

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