Inkarnationen 02 - Der Sand der Zeit - V3
in die
Hölle. Indem er seinen freien Willen ausübt, bestimmt der Mensch tatsächlich darüber, wie er nach
dem Tod weiterleben wird. Doch manche Seelen befinden sich in einem vollkommenen Gleichgewicht
zwischen Gut und Böse, wenn der Klient stirbt, und diese müssen im Fegefeuer verbleiben.«
»Du meinst, daß es wirklich solche Orte gibt, die Himmel, Hölle und Fegefeuer heißen - ich dachte
immer, das wären bloße Erfindungen der menschlichen Einbildungskraft.«
»Es sind weniger eigentliche Orte als vielmehr Seinzustände. Für unsere Kultur existieren sie,
wie auch die verschiedenen Inkarnationen, weil hinreichend an sie geglaubt wird. In anderen
Kulturen existieren dafür andere Bezugsrahmen. Ich habe nur wenige Klienten in jenen Kulturen, wo
andere Glaubensrichtungen vorherrschen.«
»Aber ich habe nie an Himmel, Hölle oder Inkarnationen geglaubt«, wandte Norton ein.
»Wahrscheinlich nicht bewußt. Glaubst du an das Gute, an das Böse und die persönliche
Wahlfreiheit?«
»Nehmen wir doch mal das Baby... Wie kann in seiner Seele Böses enthalten sein; es hat niemandem
wehgetan. Tatsächlich ist es ein Opfer von Umständen, die durch andere manipuliert wurden.«
»Das ist wahr. Es tut Gäa auch sehr leid; sie hat der Sache nicht ihre volle Aufmerksamkeit
geschenkt, deshalb hat ihr Geschenk an Gawain auch einen Makel. Als sie dies entdeckte, war es
bereits zu spät, um noch eingreifen zu können. Sie muß schließlich auch ihren eigenen Gesetzen
gehorchen. Sie ist zwar sehr mächtig, aber ebenso sehr beschäftigt. Sie hielt es für einen
einfachen Gefallen, für jemanden, der versuchte, im Tod besser zu handeln als er es im Leben
getan hatte, und sie sah nicht allzu genau hin. Sogar Inkarnationen machen Fehler - und solche
Fehler können schlimmer sein als die von Sterblichen.«
»Dieser Fehler hat die ganze Erblinie eines Mannes vernichtet!« rief Norton.
»Gawain wird eine zweite Chance erhalten«, sagte Thanatos. »Gäa hat sich bei Clotho dafür
verwandt. Das ist ihre Form, sich zu entschuldigen.«
»Das Baby wird geheilt werden?«
»Nein. Da ist nichts zu machen. Gawain wird die Möglichkeit haben, erneut zu heiraten, diesmal
mit mehr Erfolg.«
Wieder erschauerte Norton. »Erneut zu heiraten? Wird er sich von Orlene scheiden lassen?«
»Nein.«
»Wird sie ihm ein weiteres Baby gebären? Aber warum sollte er dann wieder heiraten?«
»Orlene wird kein weiteres Baby haben. Es ist der Hauptteil des Bösen in diesem ersten Kind - die
Verantwortung dafür, daß seine Mutter vorzeitig stirbt.«
»Daß seine Mutter stirbt!« wiederholte Norton schockiert.
»Es tut mir leid, dir dies mitteilen zu müssen, aber es wird leichter sein, wenn du es verstehst.
Du hast keine Schuld an dieser Katastrophe. Die Schuld liegt bei dem Kind.«
»Aber das Baby hat doch gar nichts getan!«
»Das Baby wird gleich sterben. Das vernichtet die Mutter.«
»Aber das Baby hat es sich doch nicht ausgesucht, zu sterben!«
»In diesem Fall wird, so sehr ich es bedaure, die Sünde des Vaters den Sohn heimsuchen. Hätte Gäa
sich nicht eingeschaltet, wäre das Baby gesund gewesen. Denn du bist von ausgezeichneter
genetischer Erbmasse.«
»O ja, das bin ich«, meinte Norton. »Meine Familie ist immer sehr gesund gewesen. Aber
trotzdem... diese Schuldübertragung... ich war es doch, der das Kind gezeugt hat! Und da
hatte ich auch einen Traum... und wenn ich nicht...«
»Ich will nicht behaupten, daß ich mit jedem Aspekt dieses Systems einverstanden bin,«, sagte
Thanatos sanft. »Ich kann dir nur versichern, daß dem so ist. Du hast dich weder dem Sohn noch
der Mutter gegenüber schuldig gemacht. Du mußt auch wissen, daß das Schicksal des Babys zwar
ungewiß ist, jenes der Mutter jedoch nicht; sie wird direkt in den Himmel gelangen. Sie ist eine
gute Frau, und sie hat nur wenig Böses an sich. Ich werde nicht dabei sein, aber du. Ich hoffe,
daß dein Wissen um die Gesamtsituation dir einen Teil deines Schmerzes nimmt. Du bist ein guter
Mann und kannst ein gutes Leben haben, wenn du diese Krise durchstehst.«
»Es ist ja wirklich rührend, wie sehr sich der Tod um mein Wohlergehen sorgt«, meinte Norton
bitter. »Du sagst mir, daß mein... daß Gawains Baby sterben muß und daß die Frau, die ich liebe,
sterben muß, aber ich soll das alles ignorieren und mich vergnügen? Warum machst du dir dann
diese Mühe?«
»Weil ich unnötigen Schmerz nicht mag«, erwiderte Thanatos ernst. »Der Tod ist eine
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