Inkarnationen 02 - Der Sand der Zeit - V3
Weichkäse.
Der Baum stieß ein Stöhnen aus, als würde er sich in einer grausamen Sturmböe winden, und wich
mit seinem Stumpf zurück. Rötlicher Saft troff aus der Wunde. Norton musterte das Schwert mit
neugewonnenem Respekt. Dort, wo die Klinge durch das Holz von Schlamm und Rost befreit worden
war, glitzerte sie jetzt. Dies war in der Tat eine ausgezeichnete Waffe!
Ohne weitere Bedrohung gelangten sie an den Bäumen vorbei und standen nun vor der düsteren Bösen
Burg selbst. Ein eisiger Wind schien von ihr herabzuwehen.
Norton fragte sich, ob er dies eigentlich wirklich wollte.
So wie die Sache aussah, war das hier kein angenehmer Ausflug, und es war auch kein angenehmes
Unternehmen, das er hier durchführen sollte. Möglicherweise geriet er dort drinnen in eine Falle
und konnte dann nicht mehr zur Erde zurückkehren. Ob dies das Alicorn wirklich wert war?
Doch schon hielt Sning vor dem düsteren Frontportal.
Die Schlange nahm wieder ihre übliche Körpergröße an, was sie alle zum Absitzen zwang. Norton
reichte die Hand hinab, worauf Sning emporkletterte und sich wieder um seinen Finger wand.
»Müssen wir hinein?« fragte Norton resigniert.
Druck.
»Können wir nicht einfach um die Burg herumgehen und uns sofort mit dem Drachen
beschäftigen?«
Druck, Druck.
Norton seufzte. Wahrscheinlich gab es in der Burg auch noch Wachen, die Fremde mit Pfeilen oder
Zaubern traktierten. »Die Sache gefällt mir nicht.«
»Aber Ihr seid doch ein Held?« protestierte Excelsia fröhlich. »Vorwärts und hinauf!«
»Angenommen, die Böse Zauberin verwandelt uns alle in Schleim?«
»Das kann sie nicht, solange du das Verzauberte Schwert in den Händen hältst«, meinte der Elf.
»Erst muß sie dich entwaffnen.«
Das war gut zu wissen. Norton nahm seinen Mut zusammen und führte sie alle zum
Vordereingang.
Die Zugbrücke hob sich, als sie näher kamen. »Oh, sieht so aus, als würde man uns erwarten.« Der
Gedanke flößte ihm nicht eben Mut ein. Er trat vor, doch Sning drückte zweimal seinen Finger, und
er hielt inne. »Eine Falle?«
Druck.
Er blickte zu den glitzernden Spitzen des Falltors empor. »Natürlich, was hinauf kann, kann auch
hinab.«
Druck.
»Also schön, ich werde die Falle auslösen.« Er trat zu der Mulde im Steinfußboden, in der die
tödlichen Eisenzacken des Falltors normalerweise ruhten. Dann sprang er hinüber.
Mit entsetzlicher Wucht rammten die Spitzen herab.
Eine Staubwolke aus Geröll schwebte empor. Damit hatte Norton gerechnet, doch die Heftigkeit des
Ganzen brachte ihn außer Fassung.
Er drehte sich um und hieb wütend mit dem Schwert auf die Falltür ein. Wieder durchschnitt die
Klinge ihr Hindernis, als bestünden die Stangen nur aus gekochten Nudeln. Schon bald hatte er
eine Öffnung freigehackt, so daß die anderen folgen konnten. Nun war ein noch größerer Teil
seiner Klinge blankgeputzt und glänzte. Die Burg zitterte und stöhnte. Man hatte ihr die
Fangzähne gezogen.
Sie gelangten in eine dunkle Vorhalle. Von einer sprühenden Fackel am gegenüberliegenden Ende
flackerte Licht.
»Gibt's hier noch mehr Fallen?« fragte Norton.
Druck, Druck, Druck.
»Irgendeine unmittelbare Bedrohung für Leben oder Gesundheit?«
Druck, Druck.
Er beschloß, das Risiko einzugehen. »Bleibt dicht zusammen«, sagte er zu den anderen.
Excelsia und der Elf gehorchten nur zu gerne. Sie drängten sich so eng an ihn, daß er sich kaum
noch bewegen konnte.
Dann hörten sie das Stampf! Stampf! Stampf eines Riesen. Damseil und Elf drängten sich
noch enger aneinander. »Sning, bist du sicher...?« Das Stampfen erreichte den Schnittpunkt
der Gänge unmittelbar an der Fackel. Norton rüstete sich innerlich, um den Riesen zu stellen -
und erblickte gar nichts.
Das Stampfen kam weiterhin auf sie zu, ohne daß etwas zu sehen war.
Nein, das stimmte nicht ganz. Die Stiefel des Riesen waren da. Sie stampften von allein
weiter.
Die Drei starrten die marschierenden leeren Stiefel an.
Unmittelbar vor ihnen blieben die Stiefel stehen. Das Geräusch verstummte. Nun sahen die Stiefel
wie weggeworfenes Schuhwerk aus.
Norton nahm seinen Mut zusammen und stach leicht mit der Schwertspitze gegen das theoretische
Knie des theoretischen Riesen. Er traf auf keinen Widerstand. Er hieb dicht oberhalb der Stiefel
durch die Luft. Nichts.
Er steckte das Schwert wieder in den Gürtel und griff nach einem der Stiefel. Mit beiden Händen
versuchte er, ihn aufzuheben, doch das Ding rührte sich nicht vom Fleck; es
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