Inkarnationen 03 - Des Schicksals duenner Faden - V3
unverwundbar wie ihre menschlichen Gestalten.
Sie nahm wieder ihre natürliche Form an. Der Dämon griff erneut nach ihr, doch inzwischen hatte
sie das Fläschchen mit dem Weihwasser hervorgeholt. Als die Arme des Dämons sich um sie
schlangen, legte sie das Fläschchen an die Lippen und nippte an der Flüssigkeit. »Küß mich,
Dämon«, murmelte sie und beugte das Gesicht vor.
Der Dämon roch das Weihwasser, und sein Kopf ruckte zurück, doch sie folgte ihm. Nun hielten ihre
Arme seinen Körper gefangen und verhinderten seine Flucht ebenso, wie er es zuvor mit ihr
getan hatte. Sie preßte ihren Mund auf seinen und spie das Wasser aus.
Der Todeskuß! dachte Clotho.
In der Tat. Wo das Wasser den Dämon berührte, schmolz sein Fleisch dahin. Die Lippen lösten sich
auf und troffen am Kinn herab, das durch die Flüssigkeit sofort zerfressen wurde. Das Fleisch der
Wangen und der Zunge schlug Blasen, bis die Zähne kahl freilagen. Wie bei Thanatos. Dann lösten
sich auch die Gaumen auf, der Kiefer fiel auseinander, und nacheinander lockerten sich auch die
Zähne und fielen zu Boden. Die Zerstörung bahnte sich ihren Weg durch das Gesicht, zerfraß die
Nase und schließlich auch die Augäpfel. Das Hirn des Ungetüms trat zutage. Seine Oberfläche
begann zu rauchen, als das Weihwasser sie berührte. Das ganze Hirn färbte sich schwarz, dann ging
es in Rauch auf.
So sollte man mit allen Vergewaltigern umgehen! dachte Atropos.
Der restliche Körper zerfiel sehr viel schneller und löste sich von oben nach unten in Dampf auf,
wie eine dicke, brennende Zigarre. Zum Schluß war nur noch eine stinkende Rauchwolke zu
sehen.
Doch als der Rauch sich auflöste, bewegte sich etwas. Der rechte Fuß des Dämons war noch intakt.
Er hatte sich nicht aufgelöst und war von den wirbelnden Schwaden verdeckt geblieben. Ihr
Todeskuß hatte die Grenze seiner Wirksamkeit erreicht.
Niobe griff wieder nach dem Fläschchen. Was kann ein einzelner Fuß schon noch ausrichten? fragte Clotho.
»Jedes Stückchen Dämon verheißt Schlimmes«, erwiderte Niobe angespannt. Sie gab etwas Weihwasser
auf ihre Finger und griff nach dem Fuß.
Das Ungetüm eilte die Treppe entlang, wobei es sich mit seinen Krallen vorwärtszog. Niobe
besprühte es mit ihren feuchten Fingern, und dort, wo die Tropfen ihr Ziel fanden, schossen
kleine Rauchwölkchen empor. Der Fuß fiel vom Treppenrand herab ins Gras. Sie verfolgte ihn,
sprenkelte weiteres Wasser darauf, und der letzte Rest des Dämons schien verschwunden.
»Ich hoffe, ich habe ihn ganz erwischt«, murmelte sie.
Kann doch höchstens noch eine Zehe übriggeblieben sein, dachte Atropos.
»Dämonen sind nicht wie Sterbliche«, meinte Niobe finster. »Die können auch in Stücken
überleben.«
Kann uns eine einzelne Zehe etwas anhaben? dachte Atropos. Wie denn?
Niobe zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht, ich hoffe nur, daß das Ding voll und ganz
erledigt ist.«
Nun, schauen wir mal, was drinnen los ist, dachte Clotho.
Wie Atropos nahm auch sie die Zehe eines einzelnen Dämons nicht sehr ernst, und Niobe mußte
zugeben, daß sie, was Dämonen anging, wahrscheinlich ein wenig unter Verfolgungswahn litt. Einer
von ihnen hatte Cedric getötet, ein anderer Blanche, ein weiterer hatte versucht, Luna und Orb
auszuschalten, und nun hatte einer sie vergewaltigen wollen. Also hatte sie allen Grund - doch
was konnte eine einzelne Dämonenzehe wirklich schon noch anrichten?
Niobe steckte ihr zerrissenes Kleid so gut wie möglich zusammen und befestigte es an den
entscheidenden Stellen mit Fäden. Dann betrat sie das Haus des Senators.
In der Empfangshalle stand ein junger Mann. Wie riesige Säcke hingen die Kleidungsstücke an ihm.
Er schien seine Umgebung nicht zu bemerken, denn er war voll und ganz damit beschäftigt, sich in
dem großen Spiegel zu betrachten.
Sie war zu spät gekommen.
Sie seufzte. »Senator?«
Er antwortete, ohne sie anzublicken. »Ja, natürlich werde ich mein Amt aufgeben müssen, sonst
gibt es Gerede, Klatsch, vielleicht sogar eine Untersuchung. Das könnte ich mir nicht leisten!
Möglicherweise würde es mir sogar schwerfallen, meine Identität zu beweisen. Schließlich habe ich
soeben vierzig Jahre verloren!«
»Sie... Sie wollen nicht weitermachen?« Das überraschte sie.
»Natürlich nicht. Es ist einfach nicht machbar. Ich werde ein neues Leben führen müssen, aber das
ist die Sache wert! Vierzig Jahre mehr, und die beginne ich mit meinem ganzen jetzigen
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