Inkarnationen 03 - Des Schicksals duenner Faden - V3
danken.
Da schlug ganz in der Nähe ein weiteres Artilleriegeschoß ein und blendete sie kurz, und Niobe
duckte sich unwillkürlich. Als sie sich wieder aufrichtete, waren Mars und die Schicksalsgöttin
bereits verschwunden. Sie war allein. Ihrer beiden anderen Aspekte beraubt, fühlte sie sich
plötzlich nackt. Sie und die Unsterblichkeit gehörten nun nicht mehr zu ihr. Die Tränen strömten
weiter.
Doch sie konnte nicht hierbleiben, weinend in den Straßen der zerrissenen Stadt. Sie wußte, wohin
sie ging. Also nahm sie den Koffer auf und setzte sich in Bewegung.
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9. Zwillingsmonde
Mit Hilfe des Steinsplitters vom Mars gelangte sie sicher aus Budapest heraus und kam nach
Irland, wo Pacian bereits auf sie wartete. Sie war müde und matt und fühlte sich übermäßig
sterblich, doch sie war bereit, ihn zu heiraten.
Zunächst beriet sie sich jedoch mit ihrem Sohn, dem Magier. »Satan hat geschworen, mir und den
Meinen Schwierigkeiten zu machen«, sagte sie. »Kann man sich davor schützen?«
»Satan kann auch nur durch bestimmte Kanäle wirken«, erwiderte er. »Meine Macht kommt der seinen
zwar nicht gleich, dennoch kann ich uns alle vor seinem üblen Tun schützen.« Er reichte ihr einen
hellgrünen Granat, der in eine silberne Kette eingefaßt war. »Wenn du dies hier immer trägst,
Mutter, wirst du sicher sein, und um die Töchter kümmere ich mich noch.«
»Danke, Sohn«, erwiderte sie lächelnd. Er war nun vierzig, sie dagegen körperlich nur
Vierundzwanzig.
»Und hier ist auch einer für Pacian«, sagte er und reichte ihr einen weiteren Stein.
Die Hochzeit fand im Frühling statt, und im Sommer war Niobe schwanger. Die Frau des Magiers,
Pacians Tochter Blenda, wurde ebenfalls in diesem Sommer schwanger, nach fünf Jahren Ehe, welcher
Zufall oder welche Bestimmung dahinterstand, das wußte wohl nur Lachesis. Niobe und Blenda gingen
gemeinsam spazieren und verglichen ihre Eindrücke, noch immer wirkten sie wie Schwestern, obwohl
Blenda inzwischen körperlich fünf Jahre älter war.
Im nächsten Frühling schenkten beide Frauen im Abstand von nur einer Woche jeweils einer Tochter
das Leben. Niobe nannte ihre Tochter Orb, Blenda nannte die ihre Luna, denn sie waren wie
Zwillingsmonde.
Der Magier schenkte jedem Säugling einen polierten Mondstein, der sie vor Unheil schützen
sollte.
Die beiden Mädchen wuchsen zusammen auf und waren sich selbst für enge Verwandte außerordentlich
ähnlich.
Niobe und Pacian waren beider Vorfahren; Fremde glaubten, daß Orb und Luna Zwillingsschwestern
seien. Der Magier neigte noch immer dazu, sich in seinen Forschungen zu vergraben, und Blenda
hatte ihre Lehrtätigkeit aufgegeben, um ihm dabei zu helfen. So kam es, daß Luna oft mehrere Tage
hintereinander bei Niobe verbrachte. Pacian, der schon immer ein Bauer gewesen war, interessierte
sich nun für die Forstwirtschaft und machte sich daran, die Feuchtgebiete aufzuforsten, ohne sie
zu zerstören. Das kostete ihn viele lange Stunden, und so übernahm Niobe den größten Anteil der
Kindererziehung. Sie genoß es. Sie hatte ihr erstes Kind, Junior, aufgeben müssen, und nun war
sie froh, dies dadurch wiedergutmachen zu können, daß sie diese beiden aufzog. Es war ihre
Erfüllung als Mutter, mit vierzig Jahren Verspätung.
In einem Doppelkinderwagen führte sie die Säuglinge übers Land spazieren, und als sie alt genug
waren, um selbst zu gehen, nahm sie die beiden in die Feuchtgebiete mit, wo sie die prachtvollen,
magischen Bäume bewundern konnten, die Pacian pflegte. Manchmal flogen sie auf ihrem
Familienteppich zu dem Ort, wo sie und Cedric gelebt hatten. Die alte Hütte war durch ein
modernes Bungalow ersetzt worden, vollelektrifiziert und mit Zentralheizung ausgerüstet, doch die
alte Wassereiche war noch immer da. Aus der Hamadryade war eine Nymphe mittleren Alters geworden,
was sich allerdings mehr in ihrem Verhalten als in ihrem Aussehen äußerte, doch erinnerte sie
sich noch an Niobe, nachdem diese sich vorgestellt hatte, und verließ zaghaft ihren Baum, um mit
den kleinen Mädchen zu spielen. Niobe war so glücklich wie noch nie, trotz ihrer Wehmut. Doch
sorgte sie stets dafür, daß beide Mädchen ihre schützenden Mondsteine trugen, denn es konnte
durchaus sein, daß Satan auf eine Gelegenheit lauerte, Unheil zu stiften.
Die Kinder kamen ins schulfähige Alter, und Niobe schrieb sie an der Schule ein. Sie hatte ihre
lieben Schwierigkeiten mit der Schulverwaltung, die davon
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