Inkarnationen 04 - Das Schwert in meiner Hand - V3
war. Die mächtige Flosse zeigte nun an, daß eine Fortsetzung der Flucht nicht
ungestraft bleiben würde. Der Prinz seufzte.
Er zeigte auf den Palast und schwamm zurück.
Entzücken folgte ihm rasch. Die Flosse jedoch folgte ihnen nicht.
Sie verbrachten den Rest des Tages damit, durch die wunderbaren Gärten und Alkoven zu spazieren.
Sie waren ständig zusammen, was sie keineswegs als unangenehm empfanden. Der Palast störte sie
nicht, solange sie alle Fluchtversuche unterließen und beisammen blieben. Doch die Nähe ließ Myms
Gedanken immer häufiger bei den so offensichtlichen Vorzügen der Prinzessin verweilen.
Sie saßen in einem hübschen steinernen Lichthof und dachten nach. »Was sollen wir nur tun, Mym?«
fragte Entzücken leise. »Ihr wißt genauso gut wie ich, wohin das führen wird.«
»Ja, das weiß ich sehr wohl«, sang er. »Vielleicht wenn wir uns gegenseitig besser kennen würden,
könnte ein ganz anderes Ergebnis herauskommen, als es sich unsere Väter wünschen.«
»Wie meint Ihr das?« fragte sie verwirrt.
»Jeder Mensch hat seine Fehler und Schwächen. Mein Sprachfehler zum Beispiel ist nur der
offensichtlichste Teil meiner Schwächen. Ihr wart bislang wirklich sehr verständnisvoll, doch ich
glaube, das nutzt sich im Lauf der Zeit ab.«
»Dann unterlaßt den Singsang und sprecht!« rief sie, weil sie jetzt verstand, worauf der Prinz
hinaus wollte.
»Ja-a-a«, antwortete er.
»Und wenn Ihr von meinen Fehlern wüßtet«, erklärte sie eifrig, »würdet Ihr nur noch geringes
Interesse für mich haben.«
»Wa-a-as fü-ü-ür Fe-e-e-e...?« Er konnte die Frage nicht zu Ende bringen, aber sie hatte seinen
Gedanken schon gelesen, bevor er ihn ausgesprochen hatte.
Es war ihr nicht ganz wohl in ihrer Haut. »Ich hoffte, niemals in eine solche Unannehmlichkeit zu
geraten. Doch sei's drum. Ich habe drei große Fehler, und der erste ist ebenso offensichtlich wie
Euer Sprachfehler.«
Er starrte sie verblüfft an. »Mi-i-ir ni-i-ie-e-e a-a- au-u-uf-ge-e-efa-a-alle-e-en...«
»Doch, es ist offensichtlich«, erklärte sie. »Ich war eine grenzenlose Enttäuschung für meinen
Vater, weil ich als... als...« Sie konnte nicht mehr weitersprechen, aber er las den Rest in
ihren Gedanken.
Weil Ihr als Mädchen zur Welt gekommen seid? dachte er. Aber das ist doch kein
Fehler!
»Wenn aber ein männlicher Erbe gewünscht wird«, antwortete sie bitter.
»Ni-i-ie-e-ema-a-als e-e-ei-i-in Fe-e-ehle-e-er...«
»Dann seid Ihr weit großzügiger als mein Vater«, sagte sie leise.
Welchen traurigen Zustand hatten die Werte und Sitten in diesem Land erreicht, wenn ein so
wundervolles Geschöpf wegen ihres Geschlechts gescholten wurde?
»Ihr seid nicht mehr bei der Sache«, riß sie ihn aus seinen Gedanken.
Er lachte. Mir mißfällt diese Situation sehr, Entzücken, aber Ihr erweckt in mir alles
andere als Mißfallen. Ich habe bislang keinerlei Fehler bei Euch entdecken können,
höchstens den Umstand, daß Ihr hier seid, um an die Stelle meiner Geliebten zu
treten.
»Und auch an Euch habe ich keinen Fehler entdeckt, Mym«, erklärte sie.
In der Nacht zeigte sich der Dämon wieder und erschreckte Entzücken zu Tode. Mym stand vor einem
Rätsel: Am Tag war die Prinzessin eine vernünftige, selbstbewußte Frau, die in jeder Lage wußte,
was zu tun war; doch in der Nacht verwandelte sie sich in ein hilfloses, kleines Mädchen.
»Das ist wahr«, gestand sie, »ich bin eben, wie ich heute nachmittag schon sagte, eine Frau. Ich
besitze keine Kraft, um dem Bösen oder dem Häßlichen standzuhalten. Von frühester Kindheit an
habe ich eine schreckliche Angst vor Dämonen. Es tut mir aus tiefstem Herzen leid, daß ich für
Euch eine solche Last bin.«
Offenbar brachte es tatsächlich Nachteile mit sich, eine Frau zu sein, grübelte der Prinz. Kein
Mann, den er kannte, ließ sich von einem Dämon oder dergleichen Angst einjagen. Frauen wurden zur
Abhängigkeit, zur Schutzsuche erzogen. Im Grunde genommen konnte man so einen Charakterzug nicht
als Fehler ansehen, sondern lediglich als einen Aspekt der kulturellen Entwicklung.
Und wenn Frauen zur Verletzlichkeit erzogen waren, so hatte man den Männern beigebracht, sie zu
beschützen. Er legte sich wie in den Nächten zuvor neben sie aufs Bett, hielt sie in den Armen
und schlief ein.
Seine Träume waren immer schon wirr gewesen, doch an diesem Ort waren sie wirklich
eigenartig.
Er träumte, er hielt eine wunderschöne Frau in den Armen und wußte, daß
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