Inkarnationen 04 - Das Schwert in meiner Hand - V3
dieser Traum der Wahrheit
entsprach. Dann träumte er weiter, daß er diese Frau zurückwies, und wenig später sah er ihr
abgeschlagenes Haupt auf einem Spieß.
Er erwachte von einem lauten Schreien. Der Dämon beugte sich über sie, grinste gehässig und
streckte einen Arm nach Entzücken aus. Mym griff sofort nach seinem Schwert, und der Dämon zog
sich rasch zurück und verschmolz mit der Wand.
Geschrien hatte die Prinzessin. Sie hatte in seinem Traum gelesen und die Spießspitze an ihrem
Hals gespürt.
Wir müssen fort von hier! dachte er, und sie stimmte bereitwillig zu.
Am nächsten Tag untersuchten sie den Palast und die Parkanlagen gründlicher und fanden einen
Messingring, der in der Ecke eines Raumes, den sie kaum benutzt hatten, auf dem Boden lag. Mym
zog ihn hoch, und damit hob sich eine Metallplatte, unter der ein tiefes Loch gähnte. Steinstufen
führten hinab.
Entzücken besorgte eine Lampe, und sie machten sich an die Erkundung. Die Stufen endeten in einem
Tunnel. Ein geheimer Gang, vielleicht ein Fluchtweg!
Die Luft wurde immer kühler, und die Wände wurden immer feuchter. Entzücken hatte Angst, die
Wände zu berühren, und achtete darauf, in der Nähe von Mym zu bleiben. Diesmal verzichteten sie
darauf, in Gedanken das kleine Einmaleins durchzugehen, denn damit hatten sie schon am Vortag
ihren Fluchtversuch nicht verschleiern können. Zumindest liefen sie nun über festen Grund, und
Mym hatte sein Schwert dabei.
Sie gelangten in eine Kammer, in der sich einige Steinaltäre befanden, auf denen einzelne
Gegenstände lagen.
Auf dem ersten ruhte ein goldener Ring, auf dem zweiten eine glänzende Kupferlampe und auf dem
dritten ein goldenes Kalb.
Entzücken, die großes Gefallen an allen Arten von Geschmeide hatte, blieb vor dem ersten Altar
stehen und nahm den Ring in die Hand. Sie versuchte, ihn überzustreifen, doch nachdem er an
keinem Finger passen wollte, legte sie ihn wieder zurück.
Mym trat an den zweiten Altar und besah sich die Lampe, um festzustellen, ob sie besser war als
die, die sie mitgebracht hatten. Doch leider befand sich kein Öl in ihr. Sie kam ihm wie ein
großes Dekorationsstück ohne praktischen Wert vor. Ob ich einmal daran reiben soll? fragte er sich.
»Vielleicht hält der Ring auch einen Wunsch frei«, sagte Entzücken.
Sie dachten darüber nach und kamen dann zu dem Schluß, daß diese Stücke höchstwahrscheinlich
Fallen für die Ahnungslosen waren. Nicht auszudenken, welche Höllenbrut herbeigerufen wurde, wenn
man die Macht des Rings oder der Lampe beschwor. Sie wollten den Altären lieber keine weitere
Beachtung schenken.
Doch als sie an dem goldenen Kalb vorbeikamen, hob es sein Haupt und sagte: »Wenn dein Vater das
wüßte, würde er jede Stunde eine Frau enthaupten lassen.«
Mym fuhr entsetzt zurück. Das Kalb hatte seinen wunden Punkt getroffen. Wie sehr bedauerte er es
immer noch, daß seinetwegen die Konkubinen hingerichtet worden waren!
Dann ertönte vor ihnen ein dumpfes Geräusch - wie von schweren Pranken und scharfen Krallen, die
über den Boden stampften; so als sei ein Ungeheuer auf dem Weg zu ihnen. Mym zog sein Schwert,
und daraufhin erscholl ein furchtbares Brüllen, und eine Rauchwolke strömte durch den
Tunnel.
»Ein Drache!« kreischte die Prinzessin. »Einem Drachen könnt Ihr nicht entgegentreten!«
Ganz gewiß konnte er das nicht. Das Ungeheuer würde Feuer spucken, und daran würde er schon
verbrennen, bevor er nahe genug herankam, um dem Biest das Schwert in den Leib zu stoßen.
Mym schüttelte traurig den Kopf. »Wir müssen wieder zurück«, sang er, drehte sich um und nahm den
Weg, den sie gekommen waren.
Entzücken folgte ihm dichtauf und trug ihre Lampe. Der Drache aber verfolgte sie nicht.
Zurück im Palastgarten unterhielten sie sich. Die Prinzessin gestand ihren zweiten Fehler ein.
Als kleines Mädchen hatte sie einmal einen Mann dazu gebracht, sie zu berühren. Irgendwie war sie
aus dem Palast in die Stadt gelangt, hatte sich davongeschlichen, während ihr Kindermädchen einen
Moment nicht auf sie geachtet hatte. Sie hatte damals nicht gewußt, daß es außer Prinzessinnen
auch noch andere Kinder gab, und vom Kastensystem hatte sie nicht die geringste Vorstellung
gehabt. Sie hatte einen Arbeiter gesehen und ihn angefaßt, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu
lenken. In dem Moment war die Kinderschwester hinter ihr erschienen.
Der Arbeiter war ein Paria, ein Kastenloser. In der Folge war es zu einigem
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