Inkarnationen 04 - Das Schwert in meiner Hand - V3
Aufruhr
gekommen.
Entzücken mußte sich einer schier endlosen Serie von Waschungen und Absolutionen unterziehen, um
sich von dieser Berührung zu reinigen. Der Arbeiter war noch in derselben Stunde hingerichtet
worden, und man hatte seine ganze Familie gesteinigt. Am deutlichsten erinnerte sich die
Prinzessin aber an den Wutausbruch ihres Vaters und seinen gebrüllten Satz: »NUN HAST DU MICH ZUM
ZWEITEN MAL GRENZENLOS ENTTÄUSCHT!«
Mym schoß erneut das Bild von einem aufgespießten Haupt durch den Kopf. Nein! dachte er. Du hast es nicht gewußt! Du wußtest es nicht besser und wolltest dem Mann nicht
schaden!
»Darauf kam es damals nicht an«, sagte sie traurig. »Dummheit gilt nicht als
Entschuldigung.«
Doch Wärme breitete sich in ihr aus, weil er soviel Mitgefühl und Verständnis für sie zeigte. Als
sie sich dessen bewußt wurde, kämpfte sie mit Macht dagegen an; denn solche Gefühle standen ihrem
gemeinsamen Plan im Wege.
Sie verbrachten diese Nacht wie die vorangegangenen. Diesmal träumte Mym, er hielt Entzücken in
den Armen, wie er es ja auch in der Wirklichkeit tat, doch damit war der Traum noch nicht zu
Ende. Er küßte sie, befreite sie dann zärtlich von ihrer Kleidung - ihre Haut war warm und weich
wie Seide -, und endlich machte er sich daran, sie zu besitzen...
Und er zwang sich selbst aus dem Traum und zum Erwachen. Die Wirklichkeit hatte sich in seinem
Traum widergespiegelt, denn Entzücken lag nackt neben ihm und wartete nur auf seine
Berührung.
Warum habt Ihr mich nicht aufgehalten? fuhr er sie an.
»Ich habe es versucht, doch es wollte mir nicht gelingen«, flüsterte sie.
Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie versucht, mir eine Frau zu Willen zu
machen!
»Ich... ich konnte mich selbst einfach nicht dazu bringen, Euch Einhalt zu gebieten«, gestand sie
leise.
Wir müssen endgültig diesen Ort verlassen.
»Ihr habt recht«, stimmte sie zu.
Doch es vergingen noch ein paar Tage, bevor sie eine neue Fluchtmöglichkeit entdeckten. Ein sehr
hoher Turm erhob sich vom Palast, auf dessen Spitze Vögel von allen Arten und Farben landeten, um
dort Wasser zu trinken.
Hin und wieder gesellte sich auch ein Riesenvogel dazu: ein Rock.
»Ein so mächtiges Tier könnte uns ohne Mühe über die Mauer tragen«, sang Mym.
»Aber würde es nicht versuchen, uns zu verschlingen?«
»Nicht wenn wir uns ihm zu erkennen geben. Menschenfressende Rocks sind ausgerottet worden. Heute
trifft man nur noch solche an, die Menschen nicht angreifen.« So stiegen sie die unzähligen
Stufen des höchsten Turms hinauf und schleppten eine große Netztasche mit. Als der Rock erschien,
stellten sie sich in das Netz, und Mym schleuderte ein Tau hoch, das sich um eine Klaue des
Riesenvogels wand. Das erschrockene Tier stieg unter mächtigem Schwingenschlag sofort wieder in
die Lüfte und hob die Netztasche mit. So wurden die beiden durch die Luft getragen.
Der Rock stieg immer höher den Wolken entgegen. Als sie sich einer mächtigen Wolkenbank näherten,
formte sich darin ein Gesicht, und eiskalter Wind blies aus dem Wolkenmund. »Wenn Eure Väter das
wüßten, würden sie sich gegenseitig die Schuld daran zuweisen«, dröhnte das Gesicht. »Die beiden
Königreiche würden sich den Krieg erklären und daraus so geschwächt hervorgehen, daß es für die
Mongolenhorde ein Leichtes wäre, sie zu überrennen. Die Angreifer würden Eure beiden Völker
versklaven, die Jungfrauen ihren Bullen vorsetzen und die jungen Männer ihren Hunden zum Fraß
vorwerfen. Des weiteren würden die Mongolen...«
»Genug!« rief Entzücken und sprach damit aus, was auch Mym dachte. »Rock, setz uns wieder
ab!«
Der Riesenvogel kam dieser Aufforderung sofort nach, flog hinab und landete auf der
Turmspitze.
Die beiden schnitten sich aus dem Netz und zogen sich rasch nach unten zurück. Schon wieder waren
sie gescheitert.
»Heute nacht müssen wir wie in allen folgenden Nächten getrennt voneinander schlafen«, erklärte
die Prinzessin mit grimmiger Entschiedenheit.
»Aber der Dämon!« wandte er ein.
»Den Dämon fürchte ich nun weniger als das, was geschehen wird, wenn wir zusammenbleiben. Ich bin
schwach, Ihr seid so freundlich, und wir beide haben die Grenzen unserer Widerstandskraft
erreicht.«
Da mußte der Prinz ihr recht geben. Natürlich würde der Dämon sie nicht körperlich verletzen. Er
sollte sie lediglich erschrecken, daß sie sich den Gesetzen des Zauberpalasts unterwarf.
Entzücken zog sich allein
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