Inkarnationen 05 - Sing ein Lied fuer Satan - V3
interessiert.«
»Ja«, lächelte Tinka. »Gleich drei haben mich letzte Nacht zu einem Spaziergang im Mondschein
eingeladen. Aber ich habe allen abgesagt.«
»Gleich drei!« Aber was wunderte sie sich? Orb hatte ja mit eigenen Augen gesehen, wie sehr Tinka
den Tanana genossen hatte. »Und warum hast du nein gesagt?«
»Weil sie mir zu gewöhnlich waren. Nach allem, was du mir beigebracht hast, weiß ich jetzt, daß
der Beste gerade gut genug für mich ist.«
Orb freute sich. So eine Überlegung entsprach auch ihrer Art.
Sie arbeiteten weiterhin tüchtig, und trotz aller Mühen hatten sie ihre Freude daran. Monate
vergingen, und später beherrschte Orb nicht nur das Calo, sie kannte auch die Sitten und
Gebräuche der Zigeuner. Tinka brachte ihr den Tanana bei, obwohl Orb sich fest vornahm,
diesen Tanz nie vor Publikum vorzuführen. Auch andere, ähnliche Eigenheiten der Zigeuner wollte
sie lieber für sich behalten. Tinka hingegen kam immer besser mit der Magie in der Musik zurecht.
Orb fiel auf, daß sie diese Magie für keine gewöhnliche, sondern für eine der Zigeuner
hielt.
Die wunderbare Zeit endete abrupt. Die Zigeuner waren ein ruheloses Volk, und immer wieder
tauchten neue Gesichter auf, während alte verschwanden. Zigeunersippen besaßen keine Reichtümer,
aber einige Familien genossen ein höheres Ansehen als andere. Tinka lernte eines Tages einen
gutaussehenden, talentierten und gescheiten Zigeuner kennen. Sie tanzte den Tanana mit ihm
und berührte ihn unentwegt. Orb wußte, daß sie ihn ihre magische Musik spüren ließ. Dieser Mann
schien ihr sehr zu gefallen, und sie brauchte wohl nur fünf Minuten, um sein Herz für sie zu
entflammen. Der Auserwählte störte sich weder an ihrer Blindheit noch an ihren Verstümmelungen.
Er hatte ihre Musik erlebt und sie schätzengelernt. Daß sie darüber hinaus auch noch sehr schön
war, war dabei nicht so wichtig.
Bevor die Nacht vorüber war, hatten sie sich das Eheversprechen gegeben.
Orb bekümmerte es, daß ihre Freundschaft mit Tinka so plötzlich zu Ende ging. Sie sagte sich, es
sei für sie wohl an der Zeit, ihre Suche fortzusetzen. Sie hatte bei diesen Zigeunern mehr als
genug gelernt und war jetzt bestens gerüstet.
Die baskischen Gitanos wußten nicht, wo der Ursprung ihres Volkes lag. Vielleicht wußten die
nordfranzösischen Zigeuner mehr darüber...
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4. Kapitel
Suche
In Nordfrankreich mußte sie nicht wie zuvor lange nach den Zigeunern suchen. Mittlerweile
kannte sie die geheimen Zeichen und Signale und konnte ihnen folgen. Sie beherrschte das Calo und
wurde daher von den Zigeunern akzeptiert.
Bei diesen Zigeunern hörte sie eine neue Geschichte über das Llano. Orb saß eines Abends zwischen
den Frauen des Stammeshäuptlings - den Behörden gegenüber wurden sie, da Polygamie unter Strafe
stand, als seine Schwestern ausgegeben. Die Geschichte erzählte von einem Stamm, der vor langer
Zeit von den Soldaten eines den Zigeunern feindlich gesinnten Herrschers gefangengenommen worden
waren.
Die Klagen aus der Bevölkerung über die vielen Diebstähle der Zigeuner waren wohl zu laut
geworden.
»Aber heute wollte ich meine Liebste heiraten«, beschwerte sich ein junger Zigeuner, als die
Soldaten bedrohlich näherrückten.
»Wir sitzen in der Falle, sind hoffnungslos unterlegen und verfügen kaum noch über Patronen«,
erklärte der Häuptling. »Und die meisten Männer sind schon gefallen oder schwer verwundet. In
einer Stunde sind wir vermutlich alle tot. Wie kannst du da an Hochzeit denken?«
»Weil ich sie liebe. Und weil ich vermutlich nie mehr eine Gelegenheit haben werde, sie zu
heiraten.«
»Wir haben aber kein Essen mehr und nur noch wenig Wein. Wie sollen wir da eine Hochzeitsfeier
ausrichten?«
»Ihre Lippen sind mir Wein genug.«
Der Häuptling strahlte. »Aus dir spricht ein wahrer Gitano. Du sollst deine Hochzeit
haben.«
Alle kamen zu der Zeremonie zusammen. Die Soldaten waren nicht mehr weit entfernt. Ihre Schüsse
waren deutlich zu hören.
Einem alten Zigeuner fiel ein Stück vom Llano ein.
Er sang es, und das Paar tanzte den Tanana dazu.
Die Frauen klatschten im Takt, und bald erfüllte das Llano die ganze Gegend. Doch immer noch
schossen die Soldaten. Die Zigeuner aber tanzten weiter und störten sich nicht an den Kugeln, die
schon in die Bäume am Lagerrand einschlugen.
Das Lied erreichte die Soldaten. Die ersten blieben stehen und ließen die Gewehre sinken. Bald
fielen keine Schüsse mehr.
Ein
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