Inkubus
eingesogen hatten.
Als die Wandoberfläche wieder in tadellosem Weiß erstrahlte, ging er ins Bad, um seine blutende Nase zu verarzten, aus der es immer noch tropfte. Er stopfte sich blutstillende Watte in die Nasenlöcher. Dann zog er sich aus und warf die beschmutzte Kleidung in eine Wanne mit Bleichmittel.
Schließlich hockte er sich vor die Toilettenschüssel, steckte sich zwei Finger in den Hals und erbrach das zerkaute Stück Papier.
Er wickelte es auf. Im Innern des Blattes, auf dem einige mit einer Schablone geschriebene Worte standen, lag ein kleiner dunkler Klumpen. Er sah ihn sich genauer an.
Und entdeckte zwei kleine Augen.
Einen kleinen Schnabel.
Winzige, blutverschmierte Federn.
Ramondi schrie laut.
X
»Er hat was getan?«, brüllte Amaldi ungläubig in den Telefonhörer. Dann lauschte er. »Nein, ich denke gar nicht daran zu kommen. Nicola … du wusstest von Anfang an ganz genau, dass ich mich keinen Schritt von hier wegbewegen würde.« Er hörte wieder zu. »Hast du über meine Frage nachgedacht? Gut … dann also auf meine Weise«, sagte er und legte auf.
Giuditta saß auf der Terrasse und betrachtete den Sonnenuntergang. Amaldi setzte sich neben sie.
»Was ist passiert?«, fragte Giuditta.
»Nichts …«, knurrte Amaldi einsilbig.
»Du solltest mit jemandem reden, Giacomo«, meinte sie und nahm seine Hand. »Und zwar mit mir. Du kannst nicht alles in dich hineinfressen … Ich bitte dich …«
»Erinnerst du dich noch an den Ispettore von neulich?«, fragte Amaldi vorsichtig.
»Dieser charmante Mann?«
»Ja … Der hat einen Verdächtigen zu Hause aufgesucht, ihn zusammengeschlagen und gezwungen, einen Taubenkopf hinunterzuschlucken …«
Giuditta verzog angewidert das Gesicht.
»Entschuldige bitte …«, sagte Amaldi.
»Erzähl weiter.«
»Damit hat er die Ermittlungen beeinträchtigt … Er hat … Der Mann, den er verprügelt hat, ist psychisch labil … Der könnte wer weiß was anstellen … Er könnte … Er hat ihn einfach zusammengeschlagen, verstehst du?«
»Weiß man denn mit Sicherheit, dass er es war?«, fragte Giuditta nach.
»Es gibt eine Videoaufzeichnung. Der Anwalt von … von diesem Verdächtigen hat Anzeige erstattet. Palermo wird des Hausfriedensbruchs, der schweren Körperverletzung und des Amtsmissbrauchs beschuldigt … Der Jesuit wollte mich sprechen …«
»Wer ist der Jesuit?«
»Der Leiter des Disziplinarausschusses. Er wollte mich sehen und mit mir sprechen … Man hat Palermo suspendiert und er hat gesagt … dass alles meine Schuld sei.«
»Stimmt das denn?«
»Nein, ganz und gar nicht!«, erregte sich Amaldi und sprang auf.
Giuditta trat zu ihm und umarmte ihn, drückte ihn ganz fest an sich. Als ob sie eins wären. Sie spürte, wie er vor Wut zitterte. Und vor Schmerz.
»Und was ist da noch?«
Amaldis Körper fiel in sich zusammen.
»Als er gegangen ist … also neulich …« Hier geriet er ins Stocken.
»Was …?«
»Die denken alle, dass ich am Ende bin«, sagte Amaldi kaum hörbar. »Dass ich … zu nichts mehr zu gebrauchen bin, so hat er es ausgedrückt.«
Giuditta nahm sein schönes Gesicht in ihre Hände und schaute ihm direkt in die Augen.
»Nicola meint es auch …«, sagte Amaldi.
»Das glaube ich nicht«, sagte Giuditta voll Überzeugung.
Amaldi senkte den Blick.
»Und du?«, fragte ihn Giuditta. »Was denkst du?«
»Ich weiß es nicht …«
»Das stimmt nicht.«
»Ich weiß gar nichts mehr …«
»Das stimmt nicht, Giacomo«, sagte Giuditta nachdrücklich. »Schau mich an. Was denkst du ?«
Amaldi sah sie wieder an. »Ich denke, dass ich keine Schuld daran trage.«
»Bist du denn zu nichts mehr zu gebrauchen ?«
»… Nein.«
»Nein«, bestätigte Giuditta. »Warum denken das die anderen von dir?«
Amaldi richtete sich auf, nahm ihre Hände von seinem Gesicht und zog sie an sich. Die Sonne war mittlerweile halb im Meer versunken. »Ich benehme mich wie eins von deinen Kindern, nicht wahr?«, fragte er sie.
»Nein. Du bist ein Mann. Ein wunderbarer Mann. Warum denken denn die anderen, dass du zu nichts mehr zu gebrauchen bist, Giacomo?«
Amaldi seufzte. »Weil ich mich nicht vor Ort blicken lasse … Weil ich mich hier in meiner Zuflucht vergrabe … Im Exil …«
»Bist du denn bereit, dich dem Kampf zu stellen?«
»Ich weiß es nicht …«
»Und wann wirst du das sein? Wie willst du wissen, ob du bereit bist?«
»Schaffst du es denn, hier den ganzen Tag allein zu bleiben?«
»Ich bin niemals allein.
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