Inkubus
Einsamkeit.
In jenen Momenten dachte er, dass er irgendwann eine Prostituierte nicht nur beißen, sondern auch essen würde.
Damit er seine Zähne nicht in seinen eigenen, ihm verhassten Körper versenken musste.
Giuditta saß unten, auf dem Rand der Rutsche, den Blick in dieser feinen, verschwommenen bläulichen Linie förmlich verloren.
»Ich wünschte mir, dass eines der Kinder nicht wieder gehen müsste«, sagte sie. »Ich wünschte mir, dass dieses Haus das Heim eines Kindes wäre.«
Als sie sich zur Terrasse umwandte, entdeckte sie dort Giacomo, der sich mit den Händen auf die Brüstung stützte und sie beobachtete. Wie jeden Abend. Sie lachte.
Auch weil sie wusste, dass er sie eines Tages hören würde.
Doch bald würde Giacomo sie hier allein lassen. Er würde wieder den Kampf aufnehmen. Wenn sie sich dann zur Terrasse umdrehte, würde er nicht mehr dort stehen.
Und vielleicht würde er sie nie mehr hören.
Primo Ramondi war in einem Haus geboren und aufgewachsen, das nicht viel mehr als eine Hütte war, jenseits des Stadtrands, an einem staubigen Platz, den man noch nicht einmal als öde Landschaft bezeichnen konnte.
Als er neun war, hatte man ihn in jenes Heim gesteckt, aus dem er mit beinahe dreizehn geflohen war. Dort hatte er noch jeden einzelnen Tag geglaubt, er könnte ein ganz normales Kind werden. Aber dann war etwas geschehen. Und er musste fliehen.
Zwei Jahre lang war er danach auf der Flucht.
Mit fünfzehn – nachdem er gelernt hatte, zu stehlen, Schlösser und Türen aufzubrechen, über Fassaden oder Dächer in leer stehende Wohnungen einzusteigen und schließlich sogar zu betteln – hatte er Violino kennen gelernt.
Der Mann, damals war er fünfunddreißig, führte eine gut gehende Wäscherei, die sieben private Pflegeheime belieferte. Viermal am Tag – davon zweimal in der Nacht – fuhr er persönlich die Heime ab und sammelte in seinem Lieferwagen die Schmutzwäsche ein. Fünf Frauen arbeiteten für ihn, um die schmutzigen Laken, Kissen, Decken und Handtücher der inkontinenten Bewohner zu waschen, zu desinfizieren und zu bügeln. Violino lebte in einem illegal errichteten Haus in der Peripherie, das später von den Beamten aus Bequemlichkeit offiziell in die Katasterpläne aufgenommen wurde. Solange es noch illegal war, hatte Violino neben dem Wohnhaus auf einem nicht landwirtschaftlich genutzten Stück Land, das zu seinem Grundstück gehörte, noch ein großes Lager errichtet, in dem dann seine Wäscherei entstand.
Als sein Unternehmen sich ausgesprochen vielversprechend entwickelte, hatte Violino seinen Gewinn in eine Unterkellerung des Wohnhauses gesteckt und so einen zehn mal zehn Meter großen quadratischen Raum mit zwei Zugängen bauen lassen, einen von außen über eine steile befestigte Rampe, die mit einem Rollgitter verschlossen wurde, und einen von innen, der mit einer gepanzerten Tür gesichert war. Das Untergeschoss wurde über ein Entlüftungssystem mit Klimaanlage und Heizung versorgt, sodass sommers wie winters hier eine gleichbleibende Temperatur herrschte, die von mehreren Thermostaten genau überwacht wurde.
Violinos zentrales Thema, das er auch seinen Angestellten einschärfte, hieß Sauberkeit. Und damit sie sich etwas darunter vorstellen konnten, war er dazu übergegangen, die schrecklichen Auswirkungen von Schmutz und Unsauberkeit in einem Fotoalbum zu dokumentieren und ihnen so die Grundregeln von Hygiene zu erläutern. Als der junge Primo in das Unternehmen eintrat, war er schockiert von all den Fotos von Geschwüren, infizierten Wunden, von durch Rattenbisse verursachten Verletzungen und der langen Aufzählung von eventuellen Krankheiten bei zu engem Kontakt mit Tieren, die eine unhygienische Umgebung unwiderstehlich anzog. Aber mehr als jedes andere Bild erschreckten ihn die mikroskopischen Vergrößerungen von Bakterien, die im Schmutz hausten, und von den Schäden, die sie verursachen konnten.
Eines Tages hatte Violino einen Halbwüchsigen bemerkt, der um sein Grundstück herumstrich. Da er davon überzeugt war, dass es sich dabei um einen Kleinkriminellen handelte, behielt er ihn im Auge, und das über Wochen. Der Junge tauchte immer am späten Nachmittag auf, setzte sich hinter einen großen Brombeerstrauch und blieb dort still sitzen, bis die Sonne unterging. Dann verschwand er spurlos. Trotz seiner Bemühungen fand Violino einfach nicht heraus, wie und wann er ging. Einige Tage später entdeckte er, dass ein Fenster seiner Wäscherei
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