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Ins Eis: Roman (German Edition)

Ins Eis: Roman (German Edition)

Titel: Ins Eis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Nieberg
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forschen. Fühlen, was noch in deinen Taschen ist. Gedichte rezitieren. Den Staub von deiner Lampe putzen. Im Finstern mit deinem Werkzeug einen Wal aus einem Stück Kohle schnitzen. Für deine Jungs zu Hause. Ein Stück Schokolade im Mund schmelzen lassen. Dann von vorne. Ein zweiter Wal, für den Kleinen, der dir keine eigenen Briefe schreibt, nur einzelne Grußworte am Ende des Briefs deiner Frau. Blind schneidest du dich in den Finger, der Geschmack von Blut und Kohle, sie greifen ineinander. Irgendwann hörst du Maschinenlärm, dann sind die Geräusche von der anderen Seite fort, die Männer sind fort, und du sitzt weiter dort im Dunkeln, allein mit dem Berg und der Kohle in der Kehle, und du hoffst, dass sie weitergraben, aber du weißt nicht, wie viel Zeit dir bleibt. Bis sie zu dir durchstoßen, und dann, in dem Moment, weißt du erst, wie dunkel es war. Wie Sauerstoff schmeckt und der Himmel und Licht.«
    »Es sind zwei Menschen gestorben.«
    »Ja. Die einstürzende Decke hat sie erschlagen. Es waren gute Männer.«
    »Bist du danach nochmals in diese Mine gegangen?«
    »Ein paar Tage später. Wir mussten das Unglück untersuchen.«
    »Warst du schuld an dem Unfall, Fredrik?«
    Seine Augen verengten sich, er sah sie plötzlich scharf an. »Nein«, sagte er, »ich war weder an der Explosion schuld noch am Einsturz.« Und dann schien er sie doch noch fragen zu wollen, woher sie die Geschichte kannte, aber die Tür ging auf, und herein platzten Ingrid und Monika.
    Erneut war es Jonas, der die Situation an sich riss, wie es nur Kinder vermochten. »Endlich bist du wach!«, jubelte er und flog auf seine Patentante zu. »Wieso hast du den ganzen Tag geschlafen? Bist du noch krank?«
    Kirsten wollte ihren Sohn zurückhalten, ihm sagen, er solle nicht so an seiner Tante zerren, aber Monika bückte sich und hob ihn hoch. Sie grub ihr Gesicht in seinen Hals und sagte: »Ich bin nur noch ein bisschen krank. Erzähl mir, was du heute gemacht hast.« Ingrid stellte sich derweil neben Fredriks Kopfende und griff nach seinem Handgelenk, um den Puls zu fühlen.
    »Wie bist du zurückgekommen?«, fragte er.
    »Mit einem Schneemobil. Wir haben die Strecke in weniger als zwei Stunden gemacht.«
    »Und Erland?«
    »Sie bringen ihn gerade jetzt zurück. Wie geht es dir?«
    »Ich fühle mich wie ein Neunzigjähriger. Sie untersuchen mich auf Infarktsymptome.«
    »Ich weiß, ich hab schon mit den Kollegen gesprochen. Wir haben gedacht, wir lassen dich noch eine Nacht hier. Dein EKG war unauffällig, trotzdem werden wir dir noch ein wenig Blut abnehmen, sicher ist sicher. Ich komme dann später noch mal und gebe dir Medikamente. Du brauchst Ruhe, Fredrik. Und Schlaf. Ich bringe jetzt erst einmal Monika ins Hotel, sie will nicht hier im Krankenhaus bleiben.«
    … wenn sie Erland herbringen. Aber das sprach Ingrid nicht aus.
    Auf dem Weg nach draußen gaben Monika und Ingrid der Krankenschwester die Klinke in die Hand, die kam, um Fredrik zur Blutabnahme zu holen. »Lass nur, wir finden schon alleine hinaus!«, winkte Kirsten ab, weil Fredrik zögerte. Sie verabschiedeten sich. Jonas hüpfte seinem Großvater ein Stück auf dem Flur hinterher, sein Schnattern begleitete ihn und die Krankenschwester den Gang entlang. Jonas’ Jacke lag über dem Stuhl, Kirstens hing über Fredriks Anorak an einem Haken neben der Tür. Als Kirsten sie abnahm, löste sich der Aufhänger, und Fredriks Anorak rauschte auf den Boden. Beim Aufheben spürte sie etwas Hartes, Rechteckiges in der Außentasche. Die Ahnung, was hier die Nähte der Jacke spannen mochte, war schneller als der mahnend erhobene Zeigefinger des Gewissens, nicht in anderer Leute Taschen zu wühlen.
    Sie hielt ein grünes Notizbuch in den Händen.
    Drei Bildsequenzen tauchten aus den bewegten Erinnerungen der letzten Tage auf:
    Erland, der das Notizbuch nach dem Streit mit Fredrik vom Fußboden der »Noorderlicht« aufhob.
    Erland, wie er es am Fuß der Treppe sorgfältig in das Seitenfach seiner Kameratasche steckte.
    Die offen stehende Kameratasche mit dem leeren Seitenfach neben Erlands Leiche am Morgen nach seinem Tod.
    Irgendwie musste Fredrik das Notizbuch an sich gebracht haben.
    Kirstens Handy klingelte. »Kirsten, hier ist Peter. Wir warten alle auf dich. Der Gouverneur ist jetzt hier. Wir sind im Tagungsraum gegenüber von der Rezeption.«
    »Ich bin unterwegs.«
    Vom Gang her näherte sich Jonas’ hüpfendes Stampfen. Kirsten hängte Fredriks Anorak zurück auf seinen

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