Ins Gras gebissen: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (Ein Pippa-Bolle-Krimi) (German Edition)
gegeben«, erklärte Seeger. »Bitte behalten Sie die Ruhe. Wir werden jetzt …«
»Ein Unfall, Herr Kommissar?« Lokalreporter Brusche drängelte sich durch die Menge nach vorn. »Was ist passiert? Und wie? Wen hat es diesmal erwischt?«
»Kommen Sie mit, Brusche, und sagen Sie’s mir«, erwiderte Seeger, nachdem er einen Moment lang überlegt hatte. »Sie kennen doch jeden hier.«
Brusche war begeistert. » Das nenne ich doch mal Kooperation mit der Presse.«
Das wirst du bereuen, dachte Pippa, als Brusche aufgeregt an ihr vorbei zur Backstube eilte und die Schwingtür aufstieß.
Genau wie ihr selbst reichte dem Reporter ein kurzer Blick auf die Leiche. Die Tür schwang zurück, ohne dass er den Raum betreten hätte. Sie hätte ihn frontal getroffen, aber im letzten Moment löste er sich aus seiner Erstarrung und stoppte sie mit der Hand. Er hastete hinter die Verkaufstheke. »Ich brauche … Schnaps! Verdammt, gibt es hier keinen …«
Mit sichtlichem Aufatmen entdeckte er auf einem kleinen Glasregal hinter dem Tresen eine Anzahl eckiger Flaschen aus braunem Glas. Die Etiketten waren kunstvoll mit Kalligraphie beschriftet, und jedes trug einen anderen Namen: Lüttmann, Gerstenknecht, Klöppel, Krause, Bartels, Heslich, Lohmeyer … Auf einer Flasche, die deutlich größer war als die anderen, stand: Lebenselixier. Wie ein Ertrinkender griff Brusche danach, drehte ungeduldig den Verschluss ab und schüttete sich große Tropfen der Flüssigkeit direkt in den Rachen. Er zog eine Grimasse und schüttelte sich, als hätte er reinen Essig getrunken. Langsam kehrte Farbe in sein Gesicht zurück.
Unbewegt beobachtete Seeger Brusches Versuche, die Fassung zurückzuerlangen, und fragte: »Und? Wer ist es?«
»Sie Mistkerl!« Der Lokalreporter blitzte den Kommissar wütend an. »Das wissen Sie doch selbst! Das da drin ist … war … Waltraut Heslich.«
Seeger nickte ruhig. »Aber jetzt habe ich die Bestätigung, nachdem Sie so freundlich waren, sie zu identifizieren.« Er wandte sich wieder den Menschen vor dem Laden zu. »Meine sehr verehrten Damen und Herren, es tut mir wirklich leid: Wie Herr Brusche mir gerade bestätigt, handelt es sich bei dem Unfallopfer um Frau Waltraut Heslich.«
Ein Raunen ging durch die Menge. Gabriele Pallkötter stieß einen spitzen Schrei aus. Dann schlug sie die Hand vor den Mund, als sei sie erschrocken über dieses Zuviel an Emotion vor allen Leuten.
»Meine Kollegen werden sich jetzt von jedem Anwesenden Namen und Anschrift geben lassen«, fuhr Seeger fort.
»Was ist passiert? Sagen Sie uns, was passiert ist!«, forderte jemand aus der Menge, und die anderen Wartenden stimmten murmelnd zu.
Seeger zögerte mit der Antwort. Dann sagte er: »Frau Heslich ist offenbar der Flamme des Baumkuchenofens zu nahe gekommen und …«
Eine Frau schrie auf. Dann rief jemand: »Genau, wie der alte Heinrich gesagt hat! Genau wie seine letzte Prophezeiung! Vorhin, an Bornwassers Grab!«
Die Menschen sahen sich entsetzt an, als wäre ihnen wieder eingefallen, warum sie hier versammelt waren: Sie hatten einen Toten zu Grabe getragen. Und jetzt gab es eine weitere Leiche.
Unruhe machte sich breit, als Einzelne aus dem düsteren Orakel des alten Mannes zitierten: »Hitze des Höllenfeuers«, hörte Pippa, und »Furien der Rache«. Als die Worte »schwarze sterbliche Hülle« fielen, wurde ihr übel, und sie sehnte sich nach Christabel Gerstenknechts Riechfläschchen.
»Er weiß immer genau, was geschehen wird«, sagte ein Mann.
»Er hat auch alle anderen Unglücksfälle der letzten Jahre vorhergesagt«, ein anderer.
»Heinrich hat das Zweite Gesicht!«, rief eine Frau. »Er soll uns erklären, was hier passiert! Und warum!«
»Wo ist er?« – »Wo ist der alte Heinrich?« – »Er muss uns warnen, ehe noch mehr passiert!« – »Hat ihn jemand gesehen?«
Die Menge bewegte sich unruhig wie eine Herde Tiere kurz vor dem Ausbruch einer Stampede.
»Ruhe!« Christabel Gerstenknechts feste Stimme brachte die aufgeregte Trauergemeinde abrupt zum Schweigen. Ruhig strich sich die alte Dame ihre langen Handschuhe glatt, dann richtete sie sich mühsam in ihrem Rollstuhl auf. »Genug! Reißt euch zusammen, wir sind nicht im Mittelalter. Wir werden jetzt genau das tun, was Hauptkommissar Seeger wünscht. Alle. Alles. Das sind wir Waltraut Heslich schuldig. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?«
Die Menschen nickten stumm, und die alte Dame machte eine Handbewegung in Seegers Richtung, mit der sie
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