Ins Gras gebissen: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (Ein Pippa-Bolle-Krimi) (German Edition)
es Tag ist und der Körper wünscht sich Nacht. Wie nach einer durchfeierten Party?«
»Ja, Jetlag macht mürbe«, sagte Christabel Gerstenknecht. »Deshalb ziehe ich Schiffsreisen vor – dann kommen Körper und Seele gleichzeitig am Ziel an.«
O nein, die Frau geht doch in ihrem Alter nicht mehr auf Reisen!, dachte Pippa. Sie stellte sich gerade eine Christabel Gerstenknecht vor, die ein komplettes Kreuzfahrtschiff herumkommandierte und die Besatzung strammstehen ließ, als sie merkte, dass alle sie ansahen und eine Antwort erwarteten.
Gnädig wiederholte Christabel Gerstenknecht ihren Wunsch: »Heute Vormittag ist der Bücherbus im Dorf. Bitte holen Sie das von mir bestellte Buch ab. Timo Albrecht weiß Bescheid.« Sie und Hilda Krause, die auch bereits knapp sechzig Jahre zählte, kicherten wie Schulmädchen, ohne dass Pippa den Grund verstand.
Wie Oma Hetty, wenn sie mit ihren Freundinnen zusammen ist, dachte Pippa, die Lebensfreude dieser Frauen nimmt einem wirklich jede Angst vor dem Alter.
Als es erneut an der Haustür klingelte und Melitta Wiek aufstehen wollte, hielt Pippa sie mit einer Handbewegung zurück. »Ich übernehme, Frau Wiek. Das wird Brusches letzter Versuch für heute, das verspreche ich«, verkündete sie und marschierte aus dem Esszimmer.
»Ach, Sie sind es«, entfuhr es Pippa, ehe sie sich bremsen konnte.
Hartung runzelte die Stirn, aber Seeger lächelte amüsiert. »Wen hatten Sie denn erwartet? Einen Recken in silberner Rüstung?« Er hielt einen Gartenzwerg im Arm, als trage er ein Baby.
Pippa trat einen Schritt zurück und bat die beiden Ermittler ins Haus. Beide waren gekleidet wie am Tag zuvor, und Pippa fragte sich flüchtig, ob sie wohl in Cordhosen und Nadelstreifen schliefen.
Im Esszimmer knallte der Kommissar den Gartenzwerg ohne weitere Begrüßung auf den Tisch zwischen Käseplatte und Marmeladensortiment und sagte: »Wir haben Frau Heslichs Haus unter die Lupe genommen. Dieser kleine Mann hier stand bei ihr auf dem Stubentisch. Ich nehme an, der ist von Ihnen?«
Die frech grinsende Figur auf dem Tisch hatte die Schultern hochgezogen und beide Handflächen in einer Du-hast-es-so-gewollt-Geste nach außen gedreht.
»Woher hatte sie den?«, fragte Christabel Gerstenknecht scharf.
»Gibt es diese … Kunstwerke denn nicht überall zu kaufen?« Hartungs Tonfall ließ keinen Zweifel daran, was er vom ästhetischen Wert der Figur hielt.
»Dieser Zwerg gehörte Frau Heslich nicht«, entgegnete die alte Dame knapp. »Das ist ganz ausgeschlossen – dieses Modell stammt aus unserer neuen Kollektion, und die ist noch streng geheim.«
»Es gibt nur drei Exemplare, und die sind in der Fabrik unter Verschluss«, sagte Florian Wiek langsam.
Seeger sah den jungen Mann erstaunt an, und Christabel Gerstenknecht erklärte: »Florian ist einer unserer Keramik- und Porzellanmaler. Wir vertrauen ihm in jeder Hinsicht, wenn ich das sagen darf. Er ist für die Bemalung unserer Prototypen zuständig, denn er ist verschwiegen und hat die sicherste Hand. Nach der Qualitätskontrolle durch meinen Betriebsleiter Herrn Hollweg wandern die Modelle direkt in den Safe seines Büros.«
Hartungs fassungsloser Blick fixierte die bunte Figur auf dem Tisch. Ihm war anzusehen, dass er zwischen den Worten Safe und Gartenzwerg keinerlei logische Verbindung sah. »Safe? Wieso das denn? Ist das nicht ein ganz normaler … äh …«, er suchte nach Worten, »Vertreter seiner Gattung?«
Insgeheim stimmte Pippa ihm zu, aber Christabel Gerstenknecht schnappte empört nach Luft. Dann gab sie Florian ein Zeichen und sagte: »Ich verlasse mich auf Ihre Diskretion, meine Herren.«
Melittas Sohn nahm den Zwerg vom Tisch, drehte ihn um und öffnete eine Klappe am Boden der Figur. Nachdem er einen winzigen Schalter neben zwei Batterien betätigt hatte, platzierte er den Gartenzwerg in der geöffneten Terrassentür.
Christabel Gerstenknecht deutete auf Hartung. »Gehen Sie hinaus«, befahl sie.
Zu überrumpelt, um zu protestieren, spazierte Hartung durch die Tür.
»Hehehe … Hehehe … Dumm gelaufen! … Hehehe … Hehehe … Dumm gelaufen!«, plärrte es hämisch aus dem Gartenzwerg, und der erschrockene Ermittler erstarrte. Er stand auf der Terrasse und zögerte sichtlich, das Haus wieder zu betreten. Er ahnte zu Recht, dass der Wichtel dies nicht schweigend hinnehmen würde. Da ihm nichts anderes übrigblieb, biss er die Zähne zusammen, stellte sich mannhaft dem erneuten Geschrei der Figur und kehrte ins
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