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Ins Leben zurückgerufen

Ins Leben zurückgerufen

Titel: Ins Leben zurückgerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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mögliche. Und nach einer Weile wußte ich es. Der würde nicht davonkommen. Da hätte schon eine Stimme vom Himmel erschallen müssen, und vielleicht wäre er noch nicht einmal dann freigekommen. Dieser war für den Strick bestimmt.«
    Dalziel bedachte Pascoe mit einem kurzen Blick. Der was bedeutete?
    »Warum haben ihn die Wärter den verrückten Mick genannt?« beharrte Pascoe hartnäckig auf seiner Frage.
    »Weil er sie zum Lachen brachte«, sagte Pollock unerwartet. »Er gab sich die meiste Zeit so, als wäre er zu Hause. Wenn zum Beispiel Mr. Hawkins, der oberste Wärter, an seiner Zelle vorbeiging, brüllte Sir Ralph: ›Hawkins, gehen Sie doch mal schnell raus und besorgen Sie mir eine Zeitung, das wäre wirklich nett.‹ Er sprach sie alle nur mit Nachnamen an. Aber niemand war deswegen gekränkt, weil er es nämlich nicht getan hat, um jemanden zu kränken. Selbst mit dem Gefängnisdirektor sprang er nicht viel anders um. ›Nugent‹, sagte er immer, ›das Essen hier drin ist eine Schande. Ich habe veranlaßt, daß für die Kumpel in meinem Trakt einige Fasanen vom Gut geschickt werden. Ich hoffe, der Koch ist der Aufgabe gewachsen. Hätten Sie vielleicht Lust, uns Gesellschaft zu leisten?‹ Und er meinte das wirklich ganz ernst. Er hat niemanden verarschen wollen, wenn Sie den Ausdruck entschuldigen.«
    Wenn er dergleichen hörte, wußte Pascoe, warum die Engländer sich nie zu einer sozialistischen Revolution durchringen konnten. Man kann nicht erwarten, daß Flagellanten ihre Peitschen wegwerfen.
    »Und wenn sie ihn nicht gerade anhimmelten, waren seine Wärter dann der Meinung, daß er schuldig war?« fragte er unvermittelt.
    Der Alte sah ihn milde an und sagte: »Das sind Spekulationen, die wir, die Gefängnisbediensteten, uns nicht leisten können. Man kann nicht bei einem Menschen sitzen, in der Nacht bevor er gehängt wird, wenn man ihn für unschuldig hält, und man kann ihm mit Sicherheit auch keinen Strick um den Hals legen.«
    »Ja, aber hat er etwas über den Mord gesagt, Percy?« fragte Dalziel.
    »Vermutlich hat er mit der Polizei und seinem Anwalt darüber gesprochen, wenn sie ihn besuchten, aber laut Mr. Hawkins verhielt er sich wie ein Unschuldiger, oder wenigstens wie jemand, der bis zum Ende nicht daran glauben wollte, daß er am Galgen enden würde. Eine Woche vor seinem Tod bat er sogar einen seiner Wärter, fünf Pfund für ihn auf ein Pferd zu setzen. Er sagte, er kenne den Trainer, und es sei an der Reihe, zu gewinnen. Der Mann kam sofort zu Mr. Hawkins.«
    »Weil es gegen die Vorschriften war?« fragte Pascoe verdutzt.
    »Weil das Rennen erst auf zwei Tage nach dem Hinrichtungsdatum angesetzt war«, erwiderte Percy Pollock.
    Ein paar Minuten lang schwiegen alle. Dalziel war der erste, der das Wort ergriff.
    »Und Sie persönlich, Percy, als Sie ihn schließlich kennenlernten, wie kam er Ihnen vor? Was hat er gesagt?«
    Vor Pascoes geistigem Auge flackerte ein Schwarzweißbild von Miles Malleson in
Adel verpflichtet
auf, wie er den zum Tode verurteilten Herzog darum bittet, ihm die Ode vorlesen zu dürfen, die er aus Anlaß seiner Hinrichtung gedichtet hatte.
    So leicht ließ sich das nicht überbieten, doch Percy lag nicht schlecht im Rennen.
    »Er wünschte allen Anwesenden Lebwohl, dann legte er die Hand ans Ohr, als würde er etwas hören, und sagte: ›Ruhe!‹ Wir waren alle mucksmäuschenstill und lauschten. Nichts. Da sagte er lachend: ›Tut mir leid, ich habe mir eingebildet, ein Pferd würde sich im Galopp nähern. Kopf hoch, Nugent‹ – so bestürzt hatte ich den Direktor noch nie erlebt –, ›es sieht so aus, als warte auf mich doch etwas weit, weit Besseres als vermutet. Danke schön, Mr. Pollock. Ich stehe zur Verfügung.‹«
    »Und das war’s, meine Herren. 45 Sekunden später war Sir Ralph tot.«
    »Ihre Angaben sind sehr präzise«, sagte Pascoe.
    »Ja, Sir, es handelte sich nämlich um einen Rekord. Gewöhnlich habe ich mit 50 bis 80 Sekunden gerechnet, von dem Augenblick an gezählt, wenn ich die Verurteilten aus der Zelle holte. Es hing davon ab, wie sie sich bewegten. Aber er hatte einen so forschen Gang, daß nach 45 Sekunden alles vorüber war. Und er war mein letzter, mein allerletzter, der Rekord wird vermutlich für immer bestehenbleiben.«
    In seiner Stimme schwangen eine Melancholie und Sehnsucht mit, die auf Pascoe abstoßend wirkte. Doch bevor er etwas sagen konnte, hatte Dalziel das Wort ergriffen.
    »Sie hatten doch auch Verbindungen

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