Insel der Rebellen
direkt neben uns. Wenn wir uns bewegen würden, müsste er viel weiter weg sein.«
»Was für eine Dreistigkeit«, sagte der Ingenieur und schüttelte den Kopf. »Fischen hier mitten in der Schutzzone.«
Der Pilot ging langsam hinunter, und die Rotorblätter peitschten das Wasser rund ums Boot auf. Die beiden Schiffbrüchigen senkten die Köpfe und schützten die Augen. Ihre Kleidungsstücke flatterten wie die Lumpen einer Vogelscheuche im Sturm, während aus dem Hubschrauber der Rettungskorb heruntergelassen wurde.
Auch Cruz Morales sehnte sich nach Rettung, auch er war der Verzweiflung nah. Vielleicht war es besser, wenn er sich freiwillig stellte. Wenigstens entkam er dann der Morgenkälte und bekam eine warme Mahlzeit. Er war erschöpft, denn er lief schon Gott weiß wie lange i n Richmonds West End herum, nachdem er klugerweise beschlossen hatte, sein Auto stehen zu lassen, nach dem offenbar alle Polizisten und sonstigen Uniformierten Virginias suchten. Zu allem Überfluss müsste er sich nun auch noch Sorgen machen, dass man ihm den Überfall und den Mord an der Tankstelle anhängen würde, die er am Abend zuvor beobachtet hatte.
Cruz hatte noch nie ein Gewaltverbrechen begangen, doch als er nun auf dem Campus der Universität von Richmond herumlief und so tat, als sei er ein Student, begann er Pläne zu schmieden, vor denen er selber Angst bekam. Er müsste lediglich jemanden finden, den er leicht in seine Gewalt bringen konnte - eine Frau, die nicht besonders sportlich oder energisch aussah. Der konnte er leicht etwas Geld und ihre Autoschlüssel abknöpfen, dann würde er fliehen, das Auto ebenfalls irgendwo stehen lassen (so schnell wie möglich), dann ein anderes Auto klauen und wieder nach New York zurückkehren. Oder noch besser, dachte er, während er auf einen kleinen, quadratischen Backsteinbau zuging, der von Bäumen umgeben an einem Teich in der Mitte des Campus lag, er würde das Auto an einer Bahnstation stehen lassen und mit dem Zug nach Hause fahren.
Am Backsteinhaus war ein Schild, auf dem stand: BAPTIST CAMPUS MINISTRY. Cruz' Englischkenntnisse entsprachen denen eines Zweitklässlers, daher machte er den Fehler, Baptist mit Baptista in Verbindung zu bringen und anzunehmen, da drinnen spräche jemand Spanisch. Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und rubbelte seine Zähne mit dem Ärmel seiner Jacke ab, um sein Erscheinungsbild etwas aufzupolieren.
Das Herz klopfte ihm im Hals. Als er die Vordertür öffnete, führte Barbie Fogg gerade eine Studentin in di e Warteecke, wo sich auf einem Couchtisch Magazine stapelten und Stoffblumen drapiert waren, die Barbie für wenig Geld auf Flohmärkten erstanden hatte.
»Ich kann es mir lebhaft vorstellen«, sagte Barbie mitfühlend zu der Studentin, die Akne hatte. »Ich selbst habe zwar immer trockene Haut gehabt, da waren Pickel nie ein Problem, aber ich kann mir doch denken, wie Sie sich fühlen. Versuchen Sie es mit meinem Hausarzt, ich bin sicher, dass er Ihnen helfen kann.«
»Das hoffe ich sehr, Mrs. Fogg. Wie gesagt, ich kann an nichts anderes mehr denken, und es macht mich richtig fertig.«
Keine der beiden Frauen achtete auf Cruz, der sich rasch auf ein Sofa hockte und eine Zeitschrift durchblätterte, ohne ein Wort zu verstehen.
»Meine Mutter hat immer gesagt, dass Seife hilft. Wenn Sie die Problemstellen mit Ivory-Seife behandeln, trocknen sie aus«, fuhr Barbie fort und tätschelte der anderen die Schulter. »Ich habe es nie ausprobiert, denn es wäre in meinem Fall kaum hilfreich gewesen. Vielleicht nützt ja auch ein Peeling.«
»Ein Peeling?«
»Mein Arzt bietet chemisches Peeling an. Fragen Sie ihn danach.«
»Das werde ich auf jeden Fall tun. Vielen, vielen Dank, Mrs. Fogg. Sie wissen ja, es hilft schon sehr, wenn man einfach mit jemandem reden kann.«
»Nichts hilft so sehr wie ein gutes Gespräch unter Freundinnen«, stimmte Barbie eifrig zu. »Und haben Sie bloß keine Angst, dass Sie keiner der Collegeboys anspricht. Eines Tages finden Sie Ihren Prinzen und sind mit ihm glücklich bis ans Ende Ihrer Tage - mit wunderschöner Haut.«
Barbie fühlte, wie sich eine Last auf ihre Seele legte und die Worte hohl und falsch in ihrem Inneren nachklangen. Niemals würde diese junge Frau wunderschöne Haut haben. Sie war schon jetzt mit wütend roten und lilafarbenen Aknenarben übersät, und wenn es überhaupt eine Hoffnung gab, diese Spuren jahrelanger Verwüstung zu beseitigen, dann bestand die einzig und allein in der
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