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Insel der schwarzen Perlen

Insel der schwarzen Perlen

Titel: Insel der schwarzen Perlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noemi Jordan
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Sie kannte nicht nur die medizinische Unfähigkeit des Doktors, sondern sie wusste auch um seine größte charakterliche Schwäche. Er hasste es, unrecht zu haben oder bei einer Krankheit keinen Rat zu wissen, das hatte Elisa am eigenen Leib erfahren, als es vor Jahren um die Amputation ihres Beins ging. Er stellte lieber eine Fehldiagnose und nahm eine Verschlimmerung oder sogar einen Todesfall in Kauf, als jemand anderen zu Rate zu ziehen oder seine Unfähigkeit zuzugeben.
    Im Fall von Ulani konnte ihn niemand daran hindern, nach seiner Untersuchung zu behaupten, die Kleine sei an Lepra erkrankt. Im Gegenteil, der Applaus von fünf Männern wäre ihm sicher. Unverrichteter Dinge zurück ins Tal zu kommen, war nicht gerade heldenhaft.
    Mit wichtiger Miene hatte der Doktor begonnen, das Mädchen vor allen Anwesenden auf dem Dorfplatz zu untersuchen, wobei die vier Polizisten und Piet van Ween sich zumindest diskret im Hintergrund hielten. Doch die Tutus und alle Kinder hatten sich dicht um den Doktor geschart. Vorne standen ihre beiden Brüder mit erschrocken aufgerissenen Augen.
    Â»Mund auf!«
    Ulani gehorchte, warf Elisa jedoch einen Blick zu, der ihr beinahe das Herz brach, und begann leise zu wimmern. Wie gerne hätte sie das Kind tröstend in die Arme genommen und so schnell wie möglich zurück in ihre Hütte gebracht. Doch eine Verzögerung würde die Situation nur verschlimmern.
    Als Nächstes zog der Doktor an Ulanis Hüfttuch.
    Â»Kohana, ganz nackt brauche ich dich. Das muss leider weg, doch du bekommst es gleich wieder …«
    Ulani nickte. Jetzt stand sie nackt vor ihm und hielt schamhaft die Hand vor ihre kindliche Weiblichkeit, um sie vor den Blicken der anderen zu verbergen.
    Â»Arme hoch!«
    Schnell hielt Amala ihre Hände schützend vor die Scham des Mädchens. Als der Doktor sie erstaunt ansah, herrschte sie ihn wütend an.
    Â»Ulani ist meine mo’opuna wahine, meine Enkeltochter! Niemand hier wird ihr die Würde nehmen!«
    Ulanis Wimmern verstummte. Mit ihren großen grünen Augen sah sie Amala erstaunt an. Unmerklich, sodass nur Ulani und gerade noch Elisa es sehen konnte, nickte Amala und lächelte dem Kind zu. Zur wütenden Vulkangöttin Pele würde sie werden, sollte jemand es wagen, Ulani die Würde zu nehmen oder sie zu verspotten. Doch selbst die kleinen Brüder des Mädchens spürten den Ernst der Situation. Amala nickte den beiden anerkennend zu, als sie das Tuch ihrer Schwester vom Boden aufhoben, um es ihr sogleich reichen zu können, wenn der Doktor mit seiner Untersuchung fertig war.
    Sorgfältig suchte Doktor Wellington zunächst mit seiner Brille, aber dann noch mit einer Lupe, die er aus den Tiefen seiner schwarzen Tasche kramte, die ungewöhnlich helle Haut des Mädchens ab. Kurz sah er in Elisas Richtung.
    Â»Warum ist das Kind so blass? War es lange krank?«
    Â»Nein, Ulani hat einen haole-Vater …«
    Amala hatte für Elisa geantwortet, schnell und ohne Zögern, und der Doktor schien zufrieden.
    Er hatte jetzt ein weißes Tuch vor dem Mund und arbeitete sehr gründlich. Zentimeter für Zentimeter wanderte seine Lupe über Ulanis Haut. Als er an ihrem Brustkorb, knapp unter dem rechten Schlüsselbein, angekommen war, sah er auf.
    Â»Mai Pake! Hier ist es … eindeutig!«
    Ein Klageschrei ging durch die Dorfbewohner, und auch Elisa erblasste vor Schreck. Das konnte und durfte nicht sein. Wenn es aber so war, dann war es mit Elisas Schuld, wenn sich noch andere aus dem Dorf angesteckt hatten.
    Triumphierend zeigte der weiß behandschuhte Finger auf die Stelle.
    Â»Yes, yes, here it is! Das Kind hat die Hansensche Krankheit. Zwar in einem frühen Stadium, aber diese drei Flecken sind eindeutig. Sehen Sie hier, Fräulein Vogel!«
    Er winkte Elisa zu sich, reichte ihr aber gleichzeitig ein Tuch aus seiner Arzttasche.
    Â»Stoff vor den Mund und bitte halten Sie genug Abstand, und berühren Sie die Haut nicht mit ihrem Finger. Diese Seuche ist sehr ansteckend, und sie breitet sich auf den Inseln immer weiter aus. Also, keinerlei Berührung der Haut!«
    Ulani hatte erneut begonnen zu wimmern, und Elisa schwand der Boden unter den Füßen. Das war es, was sie am meisten befürchtet hatte. Schwach protestierte sie gegen das Tuch, das der Doktor ihr reichte.
    Â»Nein, das brauche ich nicht. Ich behandle dieses Kind schon seit einer Weile

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