Insel der schwarzen Perlen
Geborgenheit bei ihr erlebt, sie war ein ungeplanter Nachzügler. Meist hatte ihr Vater sich um sie gekümmert.
»Musst du nicht in die Klinik? Sonst muss Stefan die Visite ohne dich machen.«
Maja bemühte sich, töchterlich fröhlich zu klingen, doch es ging wie immer daneben. Ihre Mutter wollte noch reden.
»Donnerstag ist doch mein später OP -Termin-Tag, Maja! Das ist nun seit zehn Jahren so, sonst könnte ich mit dir um diese Zeit doch gar nicht so ausführlich sprechen ⦠Was sagt deine Ãrztin über die Entwicklung des Babys? Gehst du regelmäÃig zur Geburtsvorbereitung? Achtest du auf dein Gewicht?«
Wut stieg in Maja auf. Sie wollte nichts sagen, was verletzend war, doch allein der Ton ihrer Mutter machte sie aggressiv. Wie so oft hatte sie in ihrem Inneren ein Gefühl, für das sie sich schämte. Ihre Mutter war ihr fremd.
»Hörst du mich überhaupt noch? Sind wir verbunden? Ich sehe dich so schlecht â¦Â«
»Die Verbindung bricht immer ab. Du klingst abgehackt und dein Bild ist weg. Wir versuchen es ein anderes Mal, ja? Vielen Dank für deinen Anruf und Küsschen an Papa. Tschüs!«
Schnell klappte Maja den Bildschirm zu und stand auf. Sie hasste es zu lügen. Doch die unguten Gefühle, die der Anblick ihrer Mutter in ihr hervorrief, konnte sie nicht länger ertragen.
Als Maja nach drauÃen gehen wollte, zu ihrem Liebsten, um in seinen Armen ihre ärgerlichen Gefühle zu vergessen, erschrak sie. Vor ihr an der Tür saà das gröÃte Exemplar eines HundertfüÃlers, das Maja bisher auf der Insel zu sehen bekommen hatte. Er wand sich mit seinen vielen FüÃen zwischen Tür und Rahmen hoch. Der giftige Wurm war gut fünfzehn Zentimeter lang, sein Körper so dick wie Majas kleiner Finger.
Weder in Deutschland noch in Europa hatte Maja zuvor einen Centipede gesehen. Anfangs war sie nicht mit der Gefahr vertraut gewesen, doch der Biss eines HundertfüÃlers wurde auf Kauai als gefährlicher angesehen als der eines Skorpions. Keanu hatte sie bei ihrem Einzug in die Hütte eindringlich vor dieser Gefahr gewarnt.
»Sein Gift kann tagelanges Fieber auslösen, die Schmerzen sind stark, und es gibt auÃer Schmerztabletten eigentlich kein Gegenmittel ⦠Wenn du also eine Centipede in der Hütte siehst, musst du den Wurm einfangen und drauÃen aussetzen. Ihn zu töten ist kapu für unseren Klan ⦠Und Unglück kannst du in der Schwangerschaft bestimmt nicht brauchen â¦Â«
Majas Herz raste, während sie zusah, wie der ekelhafte Wurm jetzt mit seinen vielen Beinen über dem Türrahmen an der Wand hochkroch, bis er an der Containerdecke angekommen war. Dort verkroch er sich in einem Spalt über ihrem Bett.
»Keanu!«
Mehrmals rief sie nach ihm, doch er antwortete nicht. Sie erinnerte sich daran, wie er angekündigt hatte, noch kurz zum Einkaufen zu müssen. Sie war mit diesem Problem alleine.
Zunächst stellte sie das Gas unter der kochenden Suppe ab. Dann kam ein Deckel drauf. Alles war winzig in ihrem provisorischen Zuhause von knapp zwölf Quadratmetern, das Bett war fast neben der Kochstelle.
Kurz überlegte Maja, wie sie die Centipede am besten einfangen konnte. Es musste sofort geschehen, auf keinen Fall wollte sie das flinke Tier aus den Augen verlieren, sonst würde er sich am Ende in ihrem Bett verkriechen oder in einer Teetasse. Noch konnte Maja die sich bewegenden FüÃe sehen.
Ihr Blick fiel auf den Tisch. Dort stand ein leeres Glas. Daneben lagen Fotos von Elisa. Das GröÃte von ihnen, auf dem Elisa mit Kelii im Alter zu sehen war, war aus halbwegs stabilem Karton. Glas und Foto konnten ein Gefängnis für den HundertfüÃler werden. Sie griff zu, doch die Fotopappe in ihrer Hand fühlte sich merkwürdig weich und warm an. Schnell legte sie das Foto wieder hin. Lag es in der Sonne? War es deshalb warm? Sie hörte ein Kichern. Kam es von drauÃen?
»Kanapi, kanapi â¦Â«
Das Wort bedeutete HundertfüÃler, wie Maja wusste. Es folgte ein kaum wahrnehmbarer Singsang von zwei alten Stimmen. Dann wieder ein Kichern.
Kam es Maja nur so vor oder lächelte Elisa auf dem Foto? Und Kelii, sah der sie mit seinen glühenden Augen an? Dann war es wieder still, so als hätte Maja sich alles nur eingebildet.
Mit zittrigen Händen zündete sie die Kerze auf ihrem Nachttisch an, um eine bewegliche
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