Insel der schwarzen Perlen
Victoria versuchte, tapfer zu sein, doch es gelang ihr nicht. Sie begann zu schluchzen. Janson wurde ungehalten.
»Es reicht. Ich kann es nicht leiden, wenn Frauen heulen. Es ist besser, ich bringe sie hier weg. Leben Sie wohl, Fräulein Vogel, und vergessen Sie nichts von dem, was wir besprochen haben!«
Wie konnte Elisa dieses Gespräch jemals vergessen. Es hatte im Salon des Herrenhauses hinter verschlossnen Türen stattgefunden. Bei dieser Gelegenheit hatte Elisa zum ersten Mal seit fünf Jahren ihre Mutter wiedergesehen. Die BegrüÃung war alles andere als herzlich gewesen. Elisa konnte nicht fassen, wie stark Clementia sich seit ihrer Hochzeit mit Fried verändert hatte. Ihre Haltung, ihre Mimik und selbst ihre Stimme waren die einer Adeligen. Es war nichts Mütterliches mehr an ihr, aber was noch schlimmer war, sie schien keinerlei eigene Meinung mehr zu haben. All ihre Sätze begannen mit einem Wir.
Es wurde besprochen, wie es mit Victoria in Zukunft weitergehen würde, immerhin war sie die Erbin des Gouverneurs. Elisa musste ein Dokument unterzeichnen, in dem sie ihrer Mutter offiziell die Vormundschaft für Victoria überschrieb.
»Kann ich sie ab und zu sehen?«
»Das weià ich noch nicht, Elisa. Es hängt von deinem zukünftigen Lebenswandel ab. Ich höre, du hast eine Stellung bei der ehemaligen Königin von Hawaii angenommen?«
»Ja, ich werde in Liliâuokalanis Sekretariat arbeiten, am Washington Place. Die Kinder werden ab nächster Woche in Honolulu zur Schule gehen. Amala wird mit mir kommen â¦Â«
Elisa sah, dass nun auch der britische Doktor, den sie in den letzten Jahren einige Male wegen Victorias Gesundheit konsultiert hatte, den Raum betrat. Victoria litt im Winter ab und zu an Asthma.
»Guten Tag, Fräulein Vogel«, begrüÃte er sie freundlich und setzte sich. Augenscheinlich hatte man ihn dazu gebeten. Elisa fuhr fort, sich für das Besuchsrecht ihrer Tochter einzusetzen.
»Wir werden in Honolulu leben, doch in den Ferien werden wir auch nach Kauai kommen. Bei der Gelegenheit könnte ich Victoria sehen ⦠irgendwann muss sie die Wahrheit erfahren. Ich bin ihre Mutter!«
»Das reicht, Elisa. Wir haben alle verstanden, wie du dir dein Leben vorstellst. Jedoch hattest du deine Chance. Vier Jahre lang â¦Â«
»Das stimmt, und ich bin dankbar für diese Zeit mit ihr. Sie ist ein wunderbares Kind, intelligent und feinfühlig. Gerade deshalb halte ich es für wichtig, ihr gegenüber aufrichtig zu sein.«
»Dieser Meinung bin ich auch.«
Doktor Wellington lächelte und zog ein kleines Büchlein hervor.
»Ãber die letzten Jahre haben Fräulein Vogel und meine Wenigkeit uns mehr als einmal wegen Victorias Gesundheit beraten. Hier ⦠in meinem Büchlein ist alles über die kleine Patientin vermerkt. Zwei im Jahr 1902, eine im Frühling 1903, dann sogar vier Visiten in 1904 â¦Â«
»Kommen Sie zur Sache, Doktor!«
Wie immer wurde Janson ungeduldig. Gehorsam packte der Doktor sein Büchlein wieder weg, stand aber auf, um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen.
»Fräulein Vogel hat sich über vier Jahre lang wie eine sorgende und liebevolle Mutter verhalten, stets das Wohl ihrer Tochter im Blick. Sie war selbstlos, hatte ein fürsorgliches Auge und war stets für meinen Rat offen. Ich wäre sehr dafür, den Kontakt zwischen Mutter und Tochter weiterhin zu fördern.«
Entrüstet stand Clementia auf.
»Und wie stellen Sie sich das vor? Victoria würde über kurz oder lang die Wahrheit herausfinden. Doch was kann ein junges Mädchen, das in wenigen Jahren eine der begehrtesten Partien auf den Inseln sein wird, mit so einer Wahrheit anfangen? Ihre Mutter wird nie gesellschaftsfähig sein!«
Janson nickte. Kalt sah er Elisa an.
»Abgelehnt!«
Es war Elisa unmöglich, sich damit abzufinden, Victoria gänzlich zu verlieren, weswegen sie vor ihrer Abreise Johannesâ Rat suchte. Als sie ihm im Kontor gegenüberstand, erschrak sie. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, war blass und sichtlich abgemagert. Doch sie musste mindestens ebenso elend aussehen, denn spontan nahm er sie in seine Arme.
»Ich habe es schon gehört, Elisa. Es ist nicht richtig, auch nicht fair Victoria gegenüber, doch ich fürchte, ich kann dir nicht helfen!«
Wie sie bei dieser Gelegenheit durch ihn erfuhr, war ein erbitterter
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