Insel der schwarzen Perlen
griff.
»Wie kann ich dir helfen, wie �«
Sie suchte nach Worten, fand sie aber nicht. Sie griff nach dem Revers seiner Jacke, als wäre da ein Rettungsring. Dann lag plötzlich ihr Kopf auf seiner Brust. Sie hörte sein verzweifeltes Weinen und schluchzte ebenfalls hemmungslos.
Eine Weile standen sie unter dem bleichen Mond in der feuchten Schwüle des nächtlichen Gartens, bis ihr Weinen weniger wurde. Er reichte ihr sein Taschentuch. In der tiefen Trauer seiner Augen sah sie seine Liebe zu ihr. Sie liebte ihn ebenfalls und dachte nicht darüber nach, was es für eine Art von Liebe war, denn sie fühlte keinerlei Lust oder Begehren. Sie wollte ihm nur helfen. Ihr eigenes Leid schien ihr banal, verglichen mit seinem Schmerz. Er war die letzten Jahre ihr bester Freund gewesen.
Wenige Stunden später ging die Sonne über den weichen Hügeln jenseits von Lihue auf. Elisa saà mit einer Tasse bitterem Tee an Leilanis Krankenbett.
»Trinke die Pflanze ein einziges Mal. Dein Traum wird dir vielleicht sagen, warum du diese Krankheit hast â¦Â«
Leilani schüttelte den Kopf und zeigte auf das Kreuz über ihrem Bett. »Der Erlöser hat mir die Krankheit geschickt und meiner kleinen Rosa auch ⦠wir werden sterben.«
»Das sehe ich anders â¦Â«
Elisa sah sich Leilanis Haut an, das Innere ihres Auges und fühlte ihren Puls. Die kleine Rosa hatte sie bereits untersucht.
»Deinem Baby geht es sehr schlecht ⦠aber du bist stark. Eine Krankheit wird dir vielleicht lange Kummer machen, doch sie wird dir nicht so schnell dein Leben nehmen ⦠und ich glaube auch nicht, dass du Mai Pake hast. Der Doktor irrt sich. Trink den Tee! Träume dich zu den aumakua, schwimm raus zu den Haien im Schlaf und hole dir deine Kraft zurück, Schwester!«
Wieder hielt Elisa ihr den Tausend-Nebel-Trank hin, doch erneut schob Leilani die Tasse weg. Mit tieftraurigen Augen sah sie Elisa an.
»Du musst fliehen, aber bitte verzeih mir vorher. Ich brauche deine Vergebung ⦠selbst wenn wir uns nie wiedersehen.«
»Warum sagst du so etwas? Wir werden uns wiedersehen. Ich werde deinen Bruder wiedersehen. Es wird eine groÃe Hochzeit geben, und wir werden alle darüber lachen, dass wir so mutlos waren. Es passt nicht zu den Aliâi, verzagt zu sein. Ihr lasst euch nicht von dummen Krankheiten aus der Bahn werfen. Ihr seid stark, du und dein Bruder ⦠Komm, trink!«
Leilani versuchte zu lächeln, aber es gelang ihr kaum. Ihre Augen lagen tief in ihren Höhlen.
»Ich kann nicht zu den aumakua, ich hab sie verraten. Ich habe mein Volk verraten und unsere Götter ⦠und ich habe dich verraten ⦠Verzeih mir, Elisa!«
Sie erschrak, als Leilani sich aufrichten wollte. Sie war erschreckend mager, und ihre Augen leuchteten unnatürlich. Sie nahm das Baby, das auf Johannesâ Bettseite lag, und zog es an ihre Brust. Das kleine Wesen war sehr schwach, seine Lebenskräfte schwanden rasch, und auch Elisa konnte nichts mehr für dieses Kind tun, das spürte sie. Rosa gehörte bereits den Engeln.
Durch die Morgensonne wurde es im Krankenzimmer langsam heller. Elisa zog die Vorhänge zurück, sodass Mutter und Kind in ihrem Bett in einem Bad aus Licht lagen.
Leilani würde noch nicht sterben, das spürte sie als erfahrene Kahuna. Doch sie würde das Tal des Todes mit diesem Kind durchqueren müssen. Die Trauer hatte Leilanis goldbraune Haut, die sie an ihrer Freundin immer bewundert hatte, aschgrau werden lassen. Ihr Gesicht war von saurem Schweià bedeckt, und ihr Atem roch nach dem einer alten Frau. Auf dem Kopfkissen lagen Büschel von ausgerissenen Haaren.
Auf dem Nachttisch sah Elisa eine Flasche Opiat, sie war fast leer. Leilani hielt ihr Baby in den Armen und sprach zärtliche Worte mit ihr. Es waren Worte in Leilanis Muttersprache, vermischt mit Englisch und auch Deutsch. Johannes und sie sprachen bei Tisch stets Deutsch mit den Kindern, darauf hatte ihr Mann bestanden. Sie hatte die schwere Sprache erlernt. Jetzt sang sie ihrem Kind mit zitternder Stimme ein deutsches Schlaflied vor.
Guten Abend, gute Nacht,
mit Rosen bedacht,
mit Näglein besteckt.
Schlupf unter die Deckâ.
Morgen früh, wenn Gott will,
wirst du wieder geweckt.
Elisa wusste nicht, ob sie bleiben oder gehen sollte. Doch als sie aufstand, um zur Tür zu gehen, bat Leilani sie zu bleiben, weil sie ihr etwas sagen
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