Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
Dickköpfigkeit und Beharrlichkeit ertrotzte, aber er fürchtete, daß Lexy über diesen Vergleich wenig erfreut gewesen wäre. »Ich kann jetzt aber nicht weg«, wiederholte er geduldig. »Du kannst gerne das Boot nehmen und allein rüberfahren, wenn du es nicht erwarten kannst.«
»Ganz allein?«
»Nimm halt deine Schwester mit, oder eine Freundin.«
»Jo ist der letzte Mensch, mit dem ich den Tag verbringen würde. Und Freundinnen hab’ ich keine. Ginny ist weg.«
Auch ohne daß er die Sturzbäche von Tränen sah, die aus ihren Augen quollen, wußte er, daß hier die Ursache ihrer jüngsten Verstimmung lag. Aber daran konnte er nichts ändern. Auch ihm ging es seit Ginnys Verschwinden alles andere als gut.
»Wenn du mit mir rüberfahren willst, mußt du dich eben bis Samstag gedulden. Ich halte mir das Wochenende frei. Wir können drüben in einem Hotel übernachten, und ich lade dich zu einem tollen Abendessen ein.«
»Du kapierst überhaupt nichts!« Sie sprang auf. »Samstag ist nicht heute, und ich werde verrückt, wenn ich nicht sofort von hier wegkomme. Warum hast du jetzt keine Zeit für mich? Warum hast du nie Zeit für mich?«
»Ich tue, was ich kann.« Langsam war seine Geduld zu Ende. Giff griff nach der Maschine und machte sich wieder an die Arbeit.
»Du unterbrichst noch nicht mal für fünf Minuten deine Arbeit. Du quetschst mich einfach zwischen zwei Jobs. Selbst eine blöde Veranda ist wichtiger als ich.«
»Ich hab’s Kate versprochen.« Er erhob sich, griff nach dem nächsten Brett, legte es auf den Sägebock und maß es aus. »Und ich halte mein Wort, Lexy. Wenn du am Wochenende
immer noch rüber nach Savannah fahren willst, können wir es dann gern tun. Mehr kann ich dir nicht anbieten.«
»Schon gut.« Sie hob das Kinn. »Ich finde schon jemanden, der glücklich ist, wenn er den Tag mit mir verbringen kann.«
Mit einem dicken Bleistift markierte Giff die benötigte Länge. Dann musterte er sie mit einem kühlen Blick aus seinen eng zusammengekniffenen Augen. Er erkannte die Drohung – und er wußte, daß sie sie wohl in die Tat umsetzen würde. »Stimmt«, erwiderte er kühl. »Es ist deine Entscheidung.«
Seine Worte trafen sie wie eine Ohrfeige. Sie hatte erwartet, daß er ihr eine Szene machen würde. Daraus hätte sich dann ein lautstarker Streit entwickelt, und schließlich hätten sie sich in der leeren Hütte wieder versöhnt.
Dann hätte sie ihn überredet, mit ihr nach Savannah zu fahren.
Die Szene, die sie in ihrem Kopf schon fest vorgeplant hatte, löste sich jetzt in nichts auf. Den Tränen nah, wandte sie sich ab. »Gut, dann bau deine dämliche Veranda, und ich tue, was ich tun muß.«
Schweigend sah Giff ihr nach, wie sie die provisorische Treppe hinunterstieg. Er zwang sich zu warten, bis seine Wut sich legte, bevor er die Kreissäge einschaltete. Zorn konnte ihn bei der Arbeit teuer zu stehen kommen, und er hatte keine Lust, mit seinem Finger dafür zu bezahlen. Ich werde alle Finger brauchen, dachte er, wenn sie mit ihrer Drohung ernst macht.
Nur so konnte er die Faust ballen, mit der er dem Typen die Fresse polieren würde.
Lexy hörte das Kreischen der Kreissäge und biß die Zähne zusammen. Egoistisches Arschloch, dachte sie. Sie war ihm völlig gleichgültig. Sie lief mit schnellen Schritten, ihre Augen brannten, ihr Atem ging stoßweise. Sie war allen gleichgültig, niemand kümmerte sich um sie, niemand verstand sie. Nicht mal Ginny …
Ihr Magen krampfte sich zusammen, so daß sie stehenbleiben mußte. Ginny war weg. Einfach verschwunden. Alle Menschen, an denen sie hing, verschwanden auf die eine oder
andere Weise. Offenbar liebten sie sie nicht so sehr, daß sie blieben.
Zuerst hatte sie geglaubt, daß Ginny etwas Schlimmes zugestoßen sei. Daß sie entführt oder halb betrunken in den Sumpf gefallen und von einem Alligator verschlungen worden sei.
Das war natürlich Unsinn. Es hatte mehrere Tage gedauert, bis Lexy zu dem Schluß gekommen war, daß auch Ginny sie verlassen hatte. Weil niemand blieb – ganz egal, wie sehr man ihn brauchte.
Aber diesmal … Sie warf einen vernichtenden Blick zurück auf das Cottage, an dem Giff arbeitete, … diesmal würde sie verschwinden.
Sie haßte Giff, weil sie sich fast in ihn verliebt hätte.
Aber das war jetzt vorbei. Diesen Gefallen würde sie ihm nicht tun. Statt dessen, dachte sie, als sie aus der Sonne in den Schatten des Waldes trat, statt dessen werde ich Giff ein bißchen leiden
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