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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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Die Stämme, die an den Hängen oberhalb der Turtle Bay gefällt wurden, sollten zur Bucht hinuntergerollt werden. Wenn die Holzfäller sich bis zur Kuppe vorgearbeitet hatten, sollte an der Ball Bay eine weitere Sägegrube ausgehoben werden, sodass das Holz, das
an den ihr zugewandten Hängen geschlagen wurde, dort verarbeitet werden konnte. Da Richard selbst unmöglich so viele so weit auseinander liegende Sägegruben im Auge behalten konnte, musste er für jede Grube einen Stellvertreter finden, der dafür sorgte, dass das Arbeitstempo sich nicht verlangsamte, wenn er selbst gerade woanders war.
    Und die Zahl der Sägegruben sollte noch weiterwachsen, denn Ross plante weitere Straßen. Der Weg nach Cascade sollte auf zwanzig Fuß verbreitert werden, die dritte und längste Straße sollte nach Westen zur Anson Bay führen. Sägegruben und noch mehr Sägegruben, so lauteten die Befehle des Majors.
     
    Nach der Arbeit machte Richard sich auf den Weg nach Sydney Town, um seine alten Freunde zu besuchen. Er nahm einen Tannenast mit einem dicken Astknoten am Ende mit, der ihm auf dem Heimweg als Fackel dienen sollte. Ab acht Uhr herrschte Ausgangssperre. Hinter der Häuserreihe am Strand waren Zelte aufgeschlagen worden, doch viele Sträflinge mussten unter freiem Himmel schlafen, da die Besatzung der Sirius mehrere Zelte für sich beanspruchte. Morgen, so hoffte Richard, würden sie Schutzdächer aus den Segeln der Sirius bekommen.
    Dort, wo die obdachlosen Sträflinge übernachten sollten, brannte ein großes Feuer aus Holzabfällen. An die hundert Menschen drängten sich um das Feuer. Ihre Habseligkeiten lagen um sie verstreut. Anders als Seesoldaten und Offiziere waren die Sträflinge mit ihrer gesamten Habe an Land gebracht worden, sodass sie wenigstens Decken hatten. Alle waren barfuß. Es gab schon seit Monaten keine Schuhe mehr, auch auf Norfolk Island nicht.
    Richard sah Will Connelly und Neddy Perrott neben Frauen sitzen, die offenbar ihre waren - ein gutes Zeichen! Er bahnte sich einen Weg durch die Menge.
    »Richard! Richard, Schätzchen!«
    Lizzie Lock stürzte sich auf ihn, schlang die Arme um seinen Hals und bedeckte sein Gesicht mit Küssen. Sie weinte vor Freude. Richards Reaktion war instinktiv. Alles war vorbei, bevor er etwas unterdrücken oder Lizzie unter vier Augen sagen konnte, dass er
nicht mehr mit ihr zusammenleben wollte, auch wenn sie offiziell seine Frau war. Seit jenem denkwürdigen Tag, an dem William Henry, die kleine Mary und Peg in seiner Seele wieder zu Leben erwacht waren, hatte er nicht mehr an Lizzie Lock gedacht. Bevor er einen klaren Gedanken fassen konnte, hatte er sich schon aus ihren Armen befreit.
    Mit weißem Gesicht starrte er sie an, als wäre sie eine Teufelserscheinung. »Rühr mich nicht an!«, schrie er. »Rühr mich nicht an!«
    Lizzie ließ ihn erschrocken los. Ihre übergroße Freude schlug in Bestürzung und einen so großen Schmerz um, dass sie sich an die magere Brust fasste und Richard aus tränenblinden Augen anstarrte, die nichts mehr wahrnahmen außer seiner Abscheu vor ihr. Ihr Mund ging auf und zu, doch bekam sie kein Wort heraus. Hilflos sank sie auf die Knie.
    Die Umstehenden, die Richard kannten und das Wiedersehen mit Spannung erwartet hatten, hielten die Luft an und tauschten entgeisterte Blicke.
    »Richard!«, schluchzte Lizzie. »Ich bin doch deine Frau!«
    Richard kam wieder zur Besinnung. Er betrachtete die vor ihm kniende Lizzie, sah die zornigen und empörten Gesichter seiner Freunde und die neugierigen Blicke unbeteiligter Zuschauer, die gespannt auf die Fortsetzung des Dramas warteten. Was sollte er tun? Was sagen? Instinktiv trat er einen Schritt zurück.
    Die Würfel waren gefallen. Am besten brachte er die Sache jetzt gleich zu Ende, hier, im grellen Schein des Feuers und inmitten von Leuten, die ihn zu Recht als einen herzlosen Schuft verdammen würden, der die Peitsche verdiente.
    »Tut mir Leid, Lizzie«, sagte er mühsam, »aber ich kann nicht mehr mit dir zusammenleben. Ich kann es einfach nicht.« Er hob die Hände und ließ sie wieder sinken. »Ich will keine Frau, ich …«
    Er verstummte hilflos, und schließlich drehte er sich um und ging.
     
    Am nächsten Tag traf er sich wie immer nach der Arbeit mit Stephen am Point Hunter. Gemeinsam betrachteten sie von der
Landspitze aus den Sonnenuntergang. Es war einer dieser wolkenlosen Abende, an denen Richard immer dachte, die große, rot glühende Scheibe müsste mit einem Zischen ins

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