Insel der Verlorenen Roman
hier wegzuziehen, bevor der nächste Transport eintrifft. Viel mehr als das Dach und die Wände werden dann zwar noch nicht stehen, aber den Rest schaffst du ohne fremde Hilfe. Hast du genügend Bauholz?«
»Ja, von meinem eigenen Land, das ich ja sowieso roden muss. Ich habe dort eine Sägegrube ausgehoben, und Billy Wigfall hilft mir beim Zusägen. Harry Humphreys und Sam Hussey kommen manchmal samstags vorbei und helfen ebenfalls, Joey Long entrindet die Stämme.«
Die Frauen kamen herein. Sie lachten und unterhielten sich angeregt. Kitty hielt den kleinen William auf dem Arm. Ihre Augen leuchteten. Nat wunderte sich über sich selbst. Wie hatte er Kitty je für unscheinbar und gewöhnlich halten können? Wenig später verabschiedete er sich mit seiner Frau und ging.
»Ich mag deine Freunde wirklich sehr, Richard, aber Lucas und seine Familie mag ich am liebsten«, sagte Kitty, nachdem die Gäste gegangen waren. Sie stand hinter Richards Stuhl und zog seinen Kopf an ihren Bauch. Richard schloss die Augen.
Für Kitty hatte sich eine neue Welt aufgetan. Ihre erste Liebesnacht war wie ein wunderbarer Traum gewesen, wenigstens für Kitty, die Träume viel schöner fand als das wirkliche Leben. In Träumen passierten lauter wunderbare, unmögliche Dinge. Dabei war diese Nacht Wirklichkeit gewesen, eine Wirklichkeit, die sich in der folgenden Nacht fortsetzte und in allen Nächten danach. Die Hände, die ihr so gut gefielen, wanderten sanft über ihren Körper.
»Warum sind deine Hände nicht hart und schwielig?«, hatte Kitty Richard einmal gefragt.
»Ich bin von Beruf Büchsenmacher und gebe auf meine Hände Acht«, hatte dieser erwidert. »Jede kleine Schwiele, jede Narbe beeinträchtigt das Gefühl, das ich für meine Arbeit brauche. Für grobe Arbeiten ziehe ich Handschuhe an oder wickle mir Lappen um die Hände.«
Auf die meisten Fragen gab Richard allerdings keine Antwort. Wie hatte er in Bristol gelebt? Warum war er verurteilt worden? Wie viele Frauen hatte er gehabt? Hatte er in Bristol Kinder zurücklassen müssen? An was war seine Tochter gestorben, die jetzt in Kittys Alter wäre? Richard lächelte bei solchen Fragen immer nur und überging sie freundlich, aber bestimmt. Schließlich gab Kitty es auf, ihn damit zu bedrängen. Wenn er so weit war, würde er ihr alles erzählen. Vielleicht eines Tages, vielleicht aber auch nie.
Dafür war er ein toller Liebhaber! Andere Frauen redeten meist von der sexuellen Zudringlichkeit ihrer Männer, von der lästigen Pflicht, ihnen zu Willen zu sein. Kitty dagegen freute sich auf die Nächte. Noch nie zuvor hatte sie so etwas Schönes erlebt. Wenn sie mitten in der Nacht spürte, dass seine Hand nach ihr tastete, wandte sie sich ihm voller Freude zu, erregt von einem Kuss auf ihre Brust oder ihren Nacken.
Trotzdem glaubte sie nicht, dass sie ihn wirklich liebte. Sie schlief mit ihm, zugegeben, und sein reifes Alter machte ihn ihrer Meinung nach zu einem besseren Liebhaber und Gefährten. Aber sein Anblick weckte keine Begierde in ihr. Ihr Puls begann nicht zu rasen, wenn sie ihn sah. Nur wenn er sie berührte oder sie ihn, überkam sie das Verlangen. Zwar sagte er ihr täglich, dass er sie liebe, dass sie ihm alles bedeute, und sie fühlte sich dann auch geschmeichelt, doch innerlich blieb sie unbewegt.
Dieser Tag jedoch war ein ganz besonderer Tag. Diesmal ergriff Kitty die Initiative und drückte Richards Kopf an ihren Bauch. »Richard?«, sagte sie und sah auf seine kurz geschnittenen, dunklen Haare hinunter. Was für schöne Locken er hätte, wenn er die Haare wachsen ließe.
»Hm?«
»Ich bekomme ein Kind.«
Im ersten Moment war er ganz still. Dann blickte er zu ihr hoch,
das Gesicht vor Freude wie verwandelt. Er sprang auf, hob sie hoch und bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. »Kitty! Mein Liebling, mein Engel!« Er wurde plötzlich ernst. »Bist du ganz sicher?«
»Olivia sagt auch, dass ich schwanger bin, aber ich war mir schon vorher sicher.«
»Seit wann?«
»Ende Februar oder Anfang März, glauben wir. Olivia meint, es habe gleich beim ersten Mal geklappt, wie damals bei ihr und Nat. Sie meint, wir seien fruchtbar und könnten wahrscheinlich so viele Kinder haben, wie wir wollen.«
Richard nahm Kittys Hand und küsste sie ehrfürchtig. »Geht es dir gut?«
»Sehr gut sogar. Seit du mich zu dir genommen hast, habe ich keine Regel mehr gehabt. Manchmal ist mir ein bisschen übel, aber nicht so, als ob ich seekrank wäre.«
»Freust du dich,
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