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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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William Henry.« Reverend Prichard machte kehrt und schritt über den Hof, ohne sich noch einmal umzusehen.
    William Henry folgte ihm, ebenfalls ohne sich umzusehen. Er war völlig damit beschäftigt, das Chaos in sich aufzunehmen, das auf einem Schulhof voller Jungen herrschte.
    »Du hast Glück«, sagte der Aufseher der Tagesschüler, »dass dein Geburtstag mit dem Beginn deiner Schulzeit zusammenfällt, Master William Henry Morgan. Du wirst beginnen mit A für Apfel und mit dem Zweier-Einmaleins. Ich sehe, dass du deine Schiefertafel dabeihast. Gut.«
    »Ja, Sir«, sagte William Henry artig.
    Das waren die letzten Worte, die er bis zum Mittagessen im Refektorium unaufgefordert sagen sollte. Er war reichlich durcheinander. Alles war so verwirrend! Es gab so viele Regeln, und alle erschienen ihm sinnlos. Stehen. Sitzen. Knien. Beten. Worte wie ein Papagei nachplappern. Wie man auf eine Frage antwortete und wie nicht. Wer was mit wem anstellte. Wo dies war und wo das.
    Der Unterricht wurde in einem riesigen Raum abgehalten, in dem die hundert jüngeren Colston-Schüler versammelt waren. Mehrere Lehrer wechselten von einer Gruppe zur anderen, oder sie schikanierten eine Gruppe ohne Rücksicht auf das Wohlergehen der anderen Gruppen. Deshalb war es ein großer Vorteil für
William Henry, dass ihm sein Großvater in seinen Mußestunden beigebracht hatte, wie man zählte. Der Junge kannte das ABC und wusste auch, wie man einfache Additionsaufgaben löste. Sonst wäre er von all dem Neuen vielleicht überwältigt worden.
    Reverend Prichard war zwar stets präsent, er erteilte aber keinen Unterricht. Diese Aufgabe oblag für William Henrys Gruppe einem Mr Simpson, und bald war offensichtlich, dass Mr Simpson einige seiner Schützlinge deutlich gegenüber anderen bevorzugte. Er war klapperdürr, hatte eine blasse Haut und sah so aus, als ob er sich jeden Augenblick übergeben müsste. Deshalb war es keine Überraschung, dass er die Jungen nicht leiden konnte, die sich ausgiebig schnäuzten oder in der Nase bohrten oder deren klebrige braune Finger verrieten, dass sie sich mit bloßen Händen den schmutzigen Hintern wischten.
    Es fiel William Henry nicht weiter schwer, zu tun, wie ihm geheißen wurde: Sitz still! Zappel nicht herum! Tritt nicht gegen die Bank! Bohr nicht in der Nase! Schnäuz dich nicht! Und vor allem sei still! Deshalb schien Mr Simpson keine Notiz von ihm zu nehmen, abgesehen von der Frage nach seinem Namen und der Information, dass er, weil es bereits zwei Morgans in Colston gebe, »Morgan der Dritte« gerufen würde. Ein anderer Junge war so dumm, zu protestieren und zu sagen, dass er nicht »Carter der Jüngere« genannt werden wolle. Das brachte ihm vier schmerzhafte Stockhiebe ein. Einen, weil er nicht »Sir« gesagt hatte, einen wegen Aufsässigkeit und zwei auf Vorrat.
    Der Rohrstock war ein furchtbares Zuchtmittel, ein Instrument, das William Henry noch nicht kennen gelernt hatte. Er hatte sieben Jahre lang ohne einen einzigen Klaps gelebt! Deshalb schwor er sich, er würde keinem Lehrer in Colstons Schule einen Grund geben, ihn mit dem Stock zu züchtigen. Als sich zur Essenszeit um elf die ganze Schule auf Bänken an den Tischen im Speisesaal versammelte, hatte William Henry bereits herausgefunden, wer den Stock zu spüren bekam. Die Quassler, die Nasenbohrer, die Zappler, die Schnäuzer, die Dummköpfe, die Frechdachse und ein paar Jungen, die stets zu Streichen aufgelegt waren.
    Es war ihm ziemlich egal, wer im Klassenzimmer oder im Speisesaal
neben ihm saß, aber der Junge, der beim Essen sein übernächster Nachbar war, gefiel ihm. Er war fröhlich, doch nicht so lebhaft, dass er Schläge bekommen hätte. William Henry warf ihm einen Blick zu und lächelte schüchtern. Sogleich atmete ein Lehrer am Tisch des Schulleiters tief durch und wurde vor Strenge stocksteif.
    Im selben Augenblick, in dem der Junge William Henrys Blick bemerkte, schubste er seinen Nebensitzer von der Bank. Das arme Opfer fiel polternd zu Boden und wurde an einem Ohr zum Schulleitertisch auf einem Podium an der Stirnseite des Saals gezerrt.
    »Monkton der Jüngere«, sagte der neue Nachbar grinsend und zeigte dabei eine Zahnlücke. »Seit Februar hier.«
    »Morgan der Dritte, heute angefangen«, flüsterte William Henry.
    »Es ist erlaubt, leise zu reden, sobald das Tischgebet gesprochen worden ist. Du musst einen reichen Vater haben, Morgan.«
    William Henry sah sehnsüchtig auf Monktons blauen Mantel. »Ich glaube

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