Insel hinter dem Regenbogen (German Edition)
schwang auf. „Ich dachte mir schon, dass er nicht der Typ ist, der andere ausschließt“, sagte sie und trat zur Seite, damit Tracy ins Haus gehen konnte.
Tracy kam sich albern vor. „Ich bin überrascht. Für meine Tür habe ich sogar noch ein Extraschloss gekauft.“
„Ich warte hier draußen.“
Nun kam Tracy sich noch alberner vor. Mit einem Mal hatte sie ein ungutes Gefühl, allein und unerlaubterweise in Herbs Haus zu gehen. Technisch gesehen gehörte das Haus ihr, doch in den Wochen, die sie hier war, hatte sie sein Angebot, sich das Häuschen von innen anzusehen, nie angenommen. Sie war zu beschäftigt damit gewesen, sich einzuleben. Und sie hatte Angst gehabt, dass Herb sie in ein nicht enden wollendes Gespräch verwickeln würde, das in der Vorführung von Urlaubsfotos, Bildern seiner verstorbenen Haustiere und Aufnahmen seiner süßen Urenkel gipfeln würde. Als sie nun über die Schwelle trat, verspürte sie Bedauern. Es schien ihr nicht der richtige Zeitpunkt zu sein, um sein warmherziges, gastfreundliches Angebot anzunehmen.
Wohl eher das kalte Angebot. Wie sie es schon vermutet hatte, war die Temperatur im Innern des Hauses kühl – sie hatte sich nur nicht vorstellen können, dass es so eisig sein würde.
„Gott, es ist eiskalt hier drin“, sagte sie zu Janya und warf ihr über die Schulter einen Blick zu.
„Dann ist es unwahrscheinlich, dass er für immer gegangen ist. Oder bezahlen Sie den Strom?“
Tracy schüttelte den Kopf. Sie hatte noch etwas anderes wahrgenommen. Einen leichten Geruch – und zwar keinen angenehmen. Plötzlich war sie hin- und hergerissen zwischen dem Drang wegzurennen und dem Bedürfnis weiterzugehen. Aber wen sollte sie sonst anrufen, um der Sache hier auf den Grund zu gehen? C J war hinter Gittern, ihre Eltern interessierten sich nicht für ihr neues Leben, und bis jetzt hatte sie in Florida noch keinen einzigen Freund.
Sie fühlte sich vollkommen allein. Aus gutem Grund. Denn es stimmte.
„Ich fürchte, das wird ziemlich unerfreulich“, sagte sie, um dem Unvermeidlichen noch ein bisschen aus dem Weg zu gehen.
„Ich denke, wir sollten sichergehen.“
Tracy sah wieder zu Janya und bemerkte auf dem Gesicht der jungen Frau, was sie selbst vermutete.
Tracy biss sich auf die Unterlippe. Dann presste sie die Lippen aufeinander, um sich die Frage zu verbeißen, die ihr auf der Zunge lag. Sie wollte einem Menschen aus einer anderen Kultur nicht verpflichtet sein, einer Frau, mit der sie überhaupt nichts gemeinsam hatte.
„Ich werde mitkommen“, schlug Janya in dem Moment von sich aus vor. „Aber wir müssen uns beeilen, bevor ich es mir anders überlege.“
Tracy war erleichtert, dankbar und beschämt. „Es tut mir leid. Ich fürchte, ich bin ein Hasenfuß.“
„Hasenfuß?“
„Ein Feigling.“
„Dann können wir doch zusammen feige sein.“ Janya kam zu Tracy in das kleine Wohnzimmer.
„Ich war noch nie hier. Ich glaube, das da ist das Schlafzimmer.“ Tracy wies mit einem Kopfnicken auf eine Tür zu ihrer Linken. „Da ist auch die Klimaanlage.“
„Er hat viel an dem Häuschen gemacht. Alles ist ordentlich und neu. Und sauber.“
„Ich fürchte, es riecht aber nicht besonders frisch.“
Janya ging auf das Schlafzimmer zu. „Ein Blick, dann gehen wir.“
„Mr Krause?“, rief Tracy, als sie das Wohnzimmer durchquerten. Ihr fielen die schlichten Möbel auf, die in einem guten Zustand waren, und ein gläserner Couchtisch, auf dem ein Stapel Zeitungen lag. Und sie bemerkte einige welke Zimmerpflanzen.
Vor der Tür blieben sie stehen. Tracy wusste, dass das nun ihre Aufgabe war. Sie holte tief Luft und hielt sie an, drehte dann den Knauf und schob die Tür auf.
Herb Krause war nicht in die Ferien gefahren. Und er war auch nicht einfach weggezogen. Er lag vollständig bekleidet in einer Stoffhose und einem Anzughemd auf dem Bett, das er vor seinem letzten Nickerchen sorgfältig gemacht hatte. Einen Arm hatte er ausgestreckt. Die Handfläche wies nach oben. Entsetzt ging Tracy etwas näher ans Bett, um zu sehen, was ihr Mieter in der Hand hielt. Ein Schlüssel lag in seiner Hand, die Finger waren locker um das Metall geschlossen. Doch der alte Mann würde mit diesem Schlüssel nie wieder eine Tür öffnen.
Herb Krause war blau, steif und sehr, sehr tot.
3. KAPITEL
W enn eine Autopsie erforderlich wäre, könnte der Gerichtsmediziner es genauer bestimmen, aber ich würde sagen, dass er seit höchstens sechsunddreißig Stunden tot ist.
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