Insel hinter dem Regenbogen (German Edition)
Kindern im Freizeitzentrum sprach. Sie wusste, wann es besser war, sich zurückzunehmen, und wann es besser war, bei einem Thema nicht nachzugeben, sondern nachzuhaken. Sie hatte keine Ahnung, woher sie diese oder die anderen Fähigkeiten hatte, die ihr den Umgang mit Kindern erleichterten, doch in diesem Moment wollte sie sie nutzen. Olivia verdiente Zeit und Raum, um über alles nachzudenken.
Sie liefen so weit, bis der Strand in einer kleinen Bucht endete, die von Gestrüpp umgeben war. Tracy wollte gerade vorschlagen, zurückzugehen, als Olivia stehen blieb.
„Tracy, mein Vater ist ein schlechter Mensch, stimmt’s?“
Dem konnte Tracy kaum widersprechen. Sie bemühte sich, die ganze Sache etwas positiver darzustellen, doch am Ende musste sie ehrlich sein.
„Er hat ein paar sehr schlimme Dinge getan. Ich wünschte, es wäre nicht so.“
„Warum sind einige Menschen so?“
„Ich glaube nicht, dass irgendjemand diese Frage beantworten kann. Vielleicht ist etwas passiert, als dein Vater noch ein kleiner Junge war. Vielleicht hat er aber auch nur angefangen, die falschen Entscheidungen zu treffen, und so führte eines zum anderen. Aber das ist nichts, was Leute von ihren Eltern erben, Olivia. Das ist etwas anderes als blaue Augen oder braune Haare. Du bist nicht wie er.“
„Er sagt, ich sei meiner Mom viel zu ähnlich.“
Tracy atmete ein paar Mal tief durch, um sich zu beruhigen. „Süße, soweit ich verstanden habe, ist es gut, wie deine Mom zu sein. Alle haben sie geliebt.“
Olivia blickte hinaus aufs Meer, als wünschte sie sich, ihre Mutter würde irgendwie Gestalt annehmen und durch die Wellen zu ihr kommen. Tracy fürchtete, zu wissen, was Olivia gerade im Kopf herumging. Sie wünschte, jemand anders wäre hier, um dem kleinen Mädchen zu helfen. Doch da war niemand. Nur sie.
Das schien in letzter Zeit öfter vorzukommen.
Olivias Stimme klang zögerlich. „An dem Tag, als sie starb, war Daddy wütend auf Mommy. Sie wollte nicht mit seinem Boot rausfahren, aber er hat sie überredet.“
Sie sah Tracy an. „Er hat mir gesagt, dass ich niemandem jemals von dem Streit erzählen solle, den sie an dem Morgen hatten. Er sagte, wenn ich das tun würde, dann würde man mich ihm und Nana wegnehmen. Und er sagte mir, dass ich niemandem verraten dürfe, dass Nana krank sei und nicht essen würde. Was wäre, wenn ich es getan hätte, Tracy?“
Tracy legte ihre Hand auf Olivias Schulter. „Wir wissen so vieles nicht über die Dinge, die geschehen sind. Aber auf gar keinen Fall war es deine Schuld, Olivia. Du hast getan, was man dir beigebracht hat – du hast auf deinen Vater gehört. Und er hat dafür gesorgt, dass du nichts tun konntest. Also mussten die Erwachsenen dafür sorgen, dass alles wieder in Ordnung kommt, nicht du. Selbst wenn du über alles Bescheid gewusst hättest, bist du doch immer noch ein kleines Mädchen, und die Leute hören nicht immer auf das, was Kinder sagen.“
„Du schon.“
Tracy lächelte. „ Dir werde ich immer zuhören.“
„Meine Nana ist alt, und sie war furchtbar krank.“
Zumindest in diesem Punkt konnte Tracy die Kleine beruhigen. „Aber ihr Arzt ist sicher, dass sie wieder ganz gesund wird. Du hast doch gesehen, wie viel besser es ihr schon ging, als du sie besucht hast.“
„Was passiert, wenn sie stirbt?“
„Ich glaube nicht, dass sie sterben wird.“
„Tracy, irgendwann ist es so weit. Menschen sterben.“
Olivia hatte bei diesen Worten so erwachsen geklungen, dass es Tracy das Herz brach. „Okay, du hast recht. Was möchtest du wissen?“
Olivia senkte die Stimme. „Ich glaube, ich bin dann ein Waisenkind. Ich habe keine Cousinen oder Tanten oder Onkel. Was wird aus mir, wenn alle weg sind?“
Tracy zog Olivia an sich und schloss sie in die Arme. Einen Moment lang konnte sie nichts sagen.
Schließlich fand sie ihre Stimme wieder, obwohl sie sich erst räuspern musste. „Olivia, Süße, falls deine Großmutter sterben sollte, bevor du erwachsen bist, oder falls sie krank werden sollte und sich nicht mehr um dich kümmern kann, kannst du bei mir leben. Wir sorgen dafür, dass alles rechtmäßig ist, ja? Und Janya und Wanda werden auch immer für dich da sein. Du gehörst zu unserer Clique. Wir lieben dich.“
Olivia entspannte sich. Und endlich begann sie zu weinen.
Tracy strich Olivia übers Haar. Ihr wurde bewusst, dass sie gerade versprochen hatte, in Florida zu bleiben, bis das Mädchen erwachsen war. Denn wie sollte sie sonst auf
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