Insel hinter dem Regenbogen (German Edition)

ihrer Mutter zugestoßen ist. Die ganze Zeit über hat sie gewusst, dass etwas nicht stimmt, aber Lee hat behauptet, nur verhindern zu wollen, dass Alice in ein Pflegeheim müsse. Vermutlich hat er ihr auch eingebläut, niemandem davon zu erzählen, dass Alice nichts aß, weil die zuständigen Behörden die alte Dame sonst mitnehmen würden.“
    „Sie war bei einer Freundin zu Hause, als das alles passiert ist, stimmt’s?“
    „Lee fürchtete offenbar, dass wir ihn schon bald melden würden. Er hatte seinen Job bei der Maklerin verloren und musste damit rechnen, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis ich über Maribel davon erfahren würde. Also erlaubte er Olivia an diesem Nachmittag, zu einer Freundin zu gehen, damit sie aus dem Haus war. Alice war schon so schwach, dass er das Risiko eingehen wollte, dass sie beim Versuch, ihr möglichst viele falsche Lebensmittel einzutrichtern, ersticken würde. Denn damit wäre die ganze Angelegenheit ein für alle Mal vom Tisch gewesen, und er hätte sich endlich absetzen können.“
    „Er war sich sicher, dass sie sterben würde?“
    „In ihrem geschwächten Zustand? Damit lag er wahrscheinlich sogar richtig. Außerdem gab er ihr die doppelte Dosis der Medikamente und hoffte, dass die Reaktion auf die falschen Lebensmittel dann auch doppelt so stark sein würde. Ich glaube, er nahm an, dass das reichen würde.“
    „Und wie geht es dir bei alldem?“
    Tracy hatte nicht die Zeit gehabt, um über sich selbst nachzudenken. Am Dienstagabend, nach Lees Verhaftung, hatte sie bei der Polizei ihre Aussage gemacht. Dann hatte sie ein Dutzend Telefonate geführt, bis sie herausgefunden hatte, mit wem Olivia nach dem Tag im Freizeitzentrum nach Hause gegangen war. Schließlich hatte sie eine lange Befragung durch eine Frau vom örtlichen Kinderschutzbund über sich ergehen lassen müssen, damit sichergestellt war, dass Olivia bis zu Alices Entlassung bei ihr gut aufgehoben war. Von dem Zeitpunkt an war Olivia ständig in ihrer Nähe gewesen, außer die Kleine hatte Janya besucht.
    „Ich frage mich nur, ob wir etwas hätten anders machen können. Nachdem wir nun wissen, was bei Alice vor sich ging, scheint es natürlich, als hätten wir es früher merken müssen. Doch Lee hat alles ganz sorgfältig eingefädelt, und es gab einfach nichts Greifbares, auf das man hätte deuten und sagen können: ‘Hey, hier ist der Beweis, dass da drüben etwas nicht stimmt.’ Also haben wir wahrscheinlich getan, was wir konnten. Wir waren aufmerksam, haben uns gekümmert, haben versucht einzugreifen, und am Ende haben wir uns dazwischengestellt.“
    Er streckte seinen Arm aus und kitzelte sie unterm Kinn, als würde er spüren, dass sie aufgemuntert werden musste. „Weißt du, was ich glaube?“
    Seine Meinung interessierte sie, und das war beängstigend. „Schieß los, ich sitze.“
    „Ich glaube, dass du vielleicht weggeschaut hättest, wenn der alte Mann nicht in einem deiner Häuschen gestorben wäre. Aber du hast etwas gelernt.“
    „Stimmt. Das Wichtigste ist, dass man sich umeinander kümmert. Mann! Hört der Unterricht jetzt endlich mal auf?“
    „Für ein besserwisserisches Mädchen aus Kalifornien, das viel zu oft ‘Mann!’ sagt, hat es sicherlich eine Menge Mut gebraucht, um wie du einzuschreiten und Alice da rauszuholen. Obwohl du wusstest, dass Lee dir hinterhergekommen ist. Warum hast du mir nicht erzählt, was du vorhattest?“
    „Damit du mir hättest sagen können, dass ich nicht gehen soll?“
    Er wirkte ehrlich überrascht. „Nein, damit ich dir hätte helfen können. Wusstest du denn nicht, dass ich für dich da bin, wenn du mich brauchst?“
    Ein Schatten fiel auf die Decke, und Tracy blickte auf. Olivia stand vor ihr und wartete geduldig. „Ich bin müde.“
    „Wir wäre es mit einem Spaziergang am Meer?“ Tracy erhob sich und wischte sich den Sand vom Badeanzug.
    „Geht ihr zwei nur“, sagte Marsh. „Bay und ich zünden die Kohle an, damit wir die Burger grillen können.“
    Olivia stimmte weder zu, noch widersprach sie. Sie folgte Tracy einfach auf den festeren feuchten Sand, achtete jedoch darauf, dass Tracy auf der Wasserseite lief.
    „Das ist eine ziemlich ausgefallene Burg, die du und Bay da baut.“
    Olivia antwortete nicht, also schwieg Tracy. Noch zu Beginn des Sommers hätte sie sich selbst für die schlechteste Wahl gehalten, um Olivia zu helfen. Seitdem hatte sie jedoch herausgefunden, dass sie einen sechsten Sinn besaß, wenn sie mit den