Insel meiner Traeume
Mienen... Seit Alex’ Ankunft kämpfte sie mit einem Tumult widersprüchlicher Emotionen - Freude, Sehnsucht, Angst. Alex! In England! Zu welchem Zweck? War er in den Diensten Akoras hierher gekommen? Oder durfte sie zu hoffen wagen, bei dieser Reise hätten seine Gefühle für sie eine gewisse Rolle gespielt?
Das würde sie gern herausfinden. Doch der Prinzregent hatte andere Pläne. Die Gäste wurden in einen großen Raum geleitet, wo keine Lampen brannten. Nur einige Kandelaber, von livrierten Dienstboten hochgehalten, spendeten ein wenig Licht. An allen Fenstern waren die Vorhänge dicht geschlossen, um den Schein der Fackeln, die draußen brannten, oder sogar die Mondstrahlen auszusperren. Nachdem alle Gäste eingetreten waren, wurden auch die Kerzen gelöscht, und sie standen in pechschwarzem Dunkel. Verwirrt lauschte Joanna den vielstimmigen »Ooohs« und »Aaahs«, die ihr keine Anhaltspunkte für das weitere Geschehen lieferten. Die meisten Leute schienen zu wissen, was auf sie zukam. Aber das interessierte sie nicht so sehr wie die Sorge um Royce. Wie mochte er sich in dieser Fins-ternis fühlen, die ihn an sein akoranisches Gefängnis erinnern würde?
Beunruhigt tastete sie nach seiner Hand. »Bleib nicht hier«, wisperte sie. »Was immer das zu bedeuten hat - niemand wird es merken, wenn du hinausschleichst.«
Hinter sich spürte sie Alex’ tröstliche Nähe und wusste, dass er ihre Worte gehört hatte, was ihr allerdings nichts nützte.
»Sei nicht albern«, mahnte Royce leise und drückte ihre Hand. »Ich habe wirklich keinen Grund, die Flucht zu ergreifen.«
Dass diese Behauptung nicht zutraf, wusste sie, überlegte jedoch vergeblich, wie sie ihn umstimmen sollte. Und so konnte sie nur gemeinsam mit den paar Hundert anderen Gästen abwarten, was Prinny ihnen vorführen würde.
Plötzlich raubte ihr ein Krach den Atem, gefolgt von eigenartigen bunten Lichtern, die einen Teil des Raums erhellten. Durch reinen Zufall stand sie mit Alex und Royce in der Nähe eines Tuchs, das sich - vielleicht aus Gaze -vom Boden bis zur Decke und von einer Wand zur anderen spannte.
Während aus dem Ballsaal unheimliche, haarsträubende Musik herüberdrang, nahmen wirbelnde Lichter auf der weißen Wand fantastische Gestalten an. Joanna schnappte erneut nach Luft, als ein kopfloser Reiter aus dem Nichts auftauchte und über sie hinwegzugaloppieren schien. Das gespenstische Wesen wuchs zu grotesker Größe an. Instinktiv wich sie zurück und fand an Alex’ breiter Brust Halt.
»Keine Bange«, murmelte er, »das sind nur Lichter, von einem Glas hinter der Bildwand vergrößert - eine Laternamagica-Vorführung.«
Erleichtert und etwas verlegen seufzte sie auf. Davon hatte sie gehört. Wer wüsste nicht darüber Bescheid? Derzeit war die Laterna magica der letzte Schrei. Aber Joanna hatte so etwas noch nie gesehen und sich auch nicht vorgestellt, was man mit solchen Lichtspielen bewirken konnte. »Für solche Spektakel schwärmt der Prinzregent«, flüsterte Royce. »Und er denkt sich ganz besondere Effekte aus.«
Wenig später erkannte Joanna, was ihr Bruder meinte. Der kopflose Reiter verschwand, verdrängt von Skeletten mit gruseligen Totenschädeln und anderen grauenhaften Figuren, die sich wanden, emporstiegen, wuchsen, vor- und zurücksprangen. Schließlich schienen sie miteinander zu verschmelzen und im Boden zu versinken. Die Musik schwoll an, das Publikum klatschte begeistert Beifall.
Vor lauter Sorge um Royce nahm Joanna den frenetischen Applaus gar nicht wahr. Im Lauf der Vorführung hatte seine Hand ihre Finger immer fester umklammert, wie ein schmerzhafter Schraubstock. Sicher wusste er nicht, was er tat - ein Zeichen für seine extreme seelische Qual.
»Gehen wir.« Zu Alex gewandt, versuchte sie, im Licht der wenigen Kerzen, die mittlerweile wieder brannten, ihre Angst zu bezähmen. Er erkannte sofort, was sie bedrückte, und musterte ihren Bruder. Reglos stand Royce da. Über seine angespannten Züge rannen glänzende Schweißtropfen.
Langsam bahnte Alex den Geschwistern Hawkforte einen Weg durch die Menschenmenge bis zur nächsten Tür. Dank seiner Größe und seiner Kraft und der stets gebieterischen Haltung gelang ihm das mühelos. Innerhalb weniger Sekunden hatten sie den Raum verlassen und eilten zu den Glastüren, die in den Garten führten.
In der frischen Luft erholte sich Royce sehr schnell. Nach ein paar tiefen Atemzügen schüttelte er den Kopf. »Welch eine Sensation«, meinte er
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