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Insel meines Herzens

Insel meines Herzens

Titel: Insel meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josie Litton
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Tod dieser armen Menschen für seine Zwecke zu missbrauchen?«
    »Sei still!«, befahl Polonus. In wachsendem Enthusiasmus hörte er dem weiteren Redeschwall des Angeklagten zu.
    Das ertrug sie nicht länger. Wütend über die schreckliche Verblendung ihres Bruders, sprang sie auf und eilte davon. Hinter ihr blieb das Schweigen der Menschenmenge zurück – und Deilos’ durchdringende Stimme, in der immer stärkeres Selbstvertrauen mitschwang.
    Atreus beobachtete ihre Flucht und spürte ihr Entsetzen. Hätten es die Umstände gestattet, wäre er ihr ohne Zögern gefolgt. Trotz des schmerzlichen Zerwürfnisses beanspruchte er immer noch das Recht, Brianna zu trösten und zu schützen.
    Aber diese Freiheit durfte er sich nicht nehmen. Niemals würde er wirklich frei sein. Die Pflicht des Vanax verlangte seine Anwesenheit im Palasthof, wo er gezwungen wurde, Deilos’ abscheulicher Tirade zu lauschen.
    Der Mann besaß eine ungeheure Überzeugungskraft. Das musste Atreus ihm wohl oder übel zugestehen. Deilos war ein ausgezeichneter Redner. Doch in dieser Situation setzte er nicht nur dieses Naturtalent, sondern auch seine schauspielerische Begabung ein.
    Bei den Ratssitzungen hatte er sehr oft und stets wortgewandt gesprochen. Jetzt behauptete er steif und fest, er sei ignoriert worden. Das stimmte ebenso wenig wie seine anderen Aussagen. Doch er verlieh seinen Lügen den Anschein der Wahrheit. Und so beschwor er für jeden, der in die Ereignisse des Vorjahrs nicht direkt verwickelt gewesen war, eine glaubhafte Vision herauf.
    Und die Leute hörten ihm zu. Viele runzelten die Stirn und schüttelten skeptisch die Köpfe. Trotzdem hingen sie an seinen Lippen.
    »Für meine Taten habe ich gebüßt«, tönte er und hielt wieder seinen rechten Armstumpf hoch. »Grausam wurde ich verstümmelt. So sieht die Gerechtigkeit der Atreiden aus. Sei’s drum... Den Preis, den ich zahlen musste, nehme ich hin. Und ich versichere euch – ich würde einen viel höheren akzeptieren. Sogar mein Leben würde ich opfern. Und ich verlange nur eine einzige Gegenleistung – Akoras Rettung!« Die Schultern gebeugt, ließ er den verkrüppelten Arm sinken – das ausdrucksvolle Bild eines Mannes, der tapfer für seine Überzeugungen eintrat und allen Anfeindungen unerschütterlich standhielt.
    Angespannte Stille erfüllte den Hof, niemand klatschte Beifall. Aber Atreus glaubte, in den Gesichtern einiger Zuhörer zu lesen, wie gern sie Deilos zugestimmt hätten. Die meisten erschienen ihm einfach nur verwirrt und besorgt.
    Schließlich stand er auf, und sie schauten ihn sichtlich erleichtert an. Zweifellos erwarteten sie, er würde dem Angeklagten widersprechen. Doch da wurden sie enttäuscht. Diskussionen behielt er sich für ehrenwerte Gegner vor. Außerdem musste er über den Mann zu Gericht sitzen.
    »Die Verhandlung wird auf morgen vertagt«, verkündete er und ging davon.
    Im Palast blieb er kurz stehen und zwang sich, tief durchzuatmen. Auf dem Podium zu sitzen und Deilos anzuhören, diese Anstrengung hatte ihn an den Rand seiner Selbstbeherrschung getrieben. Mochte er ein Künstler und der Vanax sein, er war auch ein Krieger, und dieser Teil seines Wesens hatte ihn gedrängt, Deilos vor aller Augen zu einem Kampf herauszufordern. Fast war die Versuchung, das Herz des Schurken mit einer Klinge zu durchbohren und sein Blut in die Erde sickern zu sehen, unwiderstehlich gewesen. Royce hatte erklärt, Deilos sollte getötet werden. Und es gab nur einen einzigen Grund, das zu verhindern – zum Wohle Akoras musste der Mann am Leben gelassen und vor Gericht gestellt werden. Dann würde das Volk den notwendigen Sieg der Gerechtigkeit mit ansehen.
    Das Volk, das dem infamen Verbrecher so fasziniert gelauscht hatte...
    Grimmig schüttelte Atreus den Kopf. Solchen Gedanken durfte er nicht nachhängen, durfte keine Enttäuschung über die breite Masse empfinden, die einfach nur ihren Instinkten folgte.
    Und er musste seinen Glauben bewahren. Manchmal erfüllte ihn der Glaube wie das Geschenk einer kühlen Gebirgsquelle, die eine dürstende Kehle erfrischte – ein willkommener Segen. Den empfing man, ohne nach dem Wie und Warum zu fragen. Doch es gab andere Zeiten, wo die Klarheit des Glaubens verschwamm, wo seine ständige, unanfechtbare Existenz sogar abgelehnt wurde.
    Diese Ablehnung schürte Deilos. Mit voller Absicht? Ja, gewiss, denn er besaß ein bösartiges Genie. Raffiniert erzeugte er Zweifel und Furcht, um beides für seine Zwecke zu

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