Insel meines Herzens
Mitmenschen zu berücksichtigen.«
»Darin liegt das Wesen der Diplomatie – man sollte die Person abschätzen, mit der man zu tun hat, genau ergründen, worauf sie positiv oder negativ reagieren wird, und sich entsprechend verhalten.«
»Sicher steckt noch viel mehr dahinter.«
»Alles Weitere ist einfach nur ausgefeiltes Beiwerk. Übrigens, ich finde Ihr Kleid sehr hübsch, Brianna. Die englische Mode ist zweifellos eine willkommene Abwechslung nach all dem Weiß.«
Auf Akora war Weiß die Farbe der Jungfrauen, und sie hatte angenommen, sie würde bis zu ihrer Hochzeit keine andere tragen. Aber nach der Ankunft in London hatte sie sich dem hiesigen Lebensstil angepasst. Und ihr gefiel das dunkelblaue Abendkleid. In aller Bescheidenheit hatte sie festgestellt, wie wundervoll es mit ihrem leuchtend roten Haar harmonierte.
Oder sie hatte sich darüber gefreut, bevor ihr bewusst geworden war, dass Atreus’ Kommentar viel zu vertraulich wirkte. »Danke...«, murmelte sie.
Einer der akoranischen Krieger, die in der Eingangshalle Wache hielten, öffnete die Tür. Beim Anblick des Vanax verbeugten sich alle. Freundlich nickte er ihnen zu. Dann schaute er Brianna abwartend an. »Ihr Umhang.«
Warum musste er sie immer wieder verwirren? Verlegen kämpfte sie mit der Verschnürung am Hals und streifte das Cape von den Schultern, das er lächelnd ergriff und einem Lakaien reichte.
»Ein Schlummertrunk?«, schlug Alex vor.
»Für mich nicht«, erwiderte Joanna lächelnd. »Viel zu früh wird der morgige Tag erwachen – und mit ihm unsere süße kleine Amelia. Aber ihr drei solltet euch nicht stören lassen.«
»Auch ich möchte mich entschuldigen«, sagte Brianna leise. »Beinahe schlafe ich schon im Stehen ein.«
»Heute Abend haben Sie Ihre Sache sehr gut gemacht«, meinte Atreus, »und ich kann Ihnen nachfühlen, dass Sie erschöpft sind.«
Sie blickte auf – und noch etwas höher nach oben. Also wirklich, dieser Mann war viel zu groß. Außerdem schien sie ihn dauernd zu amüsieren, und das ärgerte sie allmählich. »Ich habe gar nichts getan.«
Offenbar hätte er die Konversation fortgesetzt, wäre Joanna ihm nicht zuvorgekommen. »Das reicht jetzt«, entschied sie energisch. »Gehen wir hinauf, Brianna, höchste Zeit fürs Bett. Alex, Liebster, ich erwarte dich oben.«
»Unsinn, meine Süße, du musst nicht auf mich warten«, entgegnete ihr Ehemann.
»Doch.« Brianna im Schlepptau, wandte sie sich zur Treppe und rief über die Schulter: »Ich muss mit dir reden, teurer Gemahl! Gute Nacht, Atreus, ich freue mich so, dass du bei uns bist.«
Neugierig überlegte Brianna, was ihre Freundin mit Alex besprechen wollte. Zu ihrem Bedauern fand sie nicht die richtigen Worte, um taktvoll danach zu fragen – obwohl ihr Verstand hellwach war, mochte sie auch körperlich ermattet sein.
Erst viel später, nachdem sie sich von Joanna verabschiedet, ihre Zofe entlassen hatte und in ihr breites Bett gesunken war, kehrten ihre Gedanken zu Atreus zurück. Er zog sie in einen magischen Bann und verwirrte sie, erregte eine seltsame Sehnsucht und machte ihr ein bisschen Angst.
Das nahm sie ihm übel, denn es gab ohnehin schon genug Probleme.
Bevorzugte er tatsächlich Menschen, die eine eigene Meinung vertraten? Mittlerweile begann sie daran zu glauben.
Ihr Kleid hatte ihm gefallen – und vor allem sie in der dunkelblauen Seide. Da war sie sich ganz sicher.
Was für eine bemerkenswerte Geduld und Disziplin er besaß... Den schwierigen Prinzregenten hatte er geradezu meisterhaft behandelt.
Und sie? Auch sie hatte er unzweifelhaft behandelt , wenn sie auch nicht wusste, auf welche Weise.
Irgendetwas wollte Atreus von ihr, der Vanax von Akora und erhabene Spross der Atreiden. Was das sein mochte, konnte sie sich nicht vorstellen. Aber bevor sie ins Reich der Träume hinüberglitt, ahnte sie, dass sie es bald erfahren würde.
Noch ehe das erste graue Licht der winterlichen Morgendämmerung die Sterne herausforderte, stieg Atreus aus dem Bett. Schon vor langer Zeit hatte er gelernt, wie wichtig es war, Zeit für sich selbst zu finden, bevor ihn die Geschäfte des Tages beanspruchten. Und so erwachte er stets sehr früh. Wie gewohnt verbrachte er die nächsten Minuten mit Meditationen und Gebeten.
Dabei dachte er wieder einmal an Brianna. Seit seiner Ankunft in England schweiften seine Gedanken immer öfter zu ihr, was ihn nur teilweise erfreute. Sie war eine Vollwaise, das ließ sich nicht ändern. Diese Tatsache
Weitere Kostenlose Bücher