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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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am Draht.
    »Meinen Sie nicht?« rief David durch das Babygeschrei. »Die Maske wird sie nicht gern tragen, das ist sicher.«
    Carlotta blickte auf. »Ich könnte sie nehmen.«
    (»Vertrauen Sie ihr nicht«,) sagte die Stimme am Draht sofort.
    »Wir können das Kind nicht aus den Augen lassen, verstehen Sie«, sagte David zu Carlotta.
    »Nun«, sagte Carlotta, die praktisch dachte, »ich könnte Lauras Videobrille und Ohrhörer tragen, und auf diese Weise könnte Atlanta alles sehen, was ich sehe. Und unterdessen würde Laura sicher bei Ihnen sein.«
    Laura zögerte. »Die Ohrhörer sind nach Maß gemacht.«
    »Sie sind flexibel, ich könnte sie eine Weile tragen. Kommen Sie, ich kann das machen, es würde mir Freude bereiten.«
    »Was meinen Sie, am Draht?« sagte David.
    (»Ich bin es, Millie Syers aus Raleigh«,) sagte die Stimme. (»Sie werden sich erinnern, John und ich und unsere Jungen waren letzten Mai in Ihrem Ferienheim.«)
    »Oh, hallo, Professor Syers«, sagte Laura. »Wie geht es Ihnen?«
    (»Nun, meinen Sonnenbrand habe ich überlebt.«) Millie Syers lachte. (»Und nennen Sie mich bitte nicht Professor, das paßt nicht zu Rizome. Und wenn Sie meinen Rat wünschen, ich würde mein Kind nicht bei einer Datenpiratin lassen, die wie ein Strichmädchen angezogen ist.«)
    »Sie ist eins«, sagte David.
    (»Na also! Ich nehme an, das erklärt es. In ihrem Arbeitsbereich wird sie nicht viel mit Babies zusammenkommen… Hmm, wenn sie Lauras Videobrille und Ohrhörer tragen würde, könnte ich wohl beobachten, was sie tut, und könnte schreien, falls sie etwas versuchen sollte. Aber was sollte sie daran hindern, die Videobrille wegzuwerfen und mit dem Baby davonzulaufen?«)
    »Wir sind im Bauch eines Supertankers, Mrs. Syers«, sagte David. »Wir haben ungefähr dreitausend Grenadiner um uns.«
    Andrej blickte vom Zuschnüren seiner Überschuhe auf. »Fünftausend, David«, sagte er durch die spitzen Schreie des Babys. »Haben Sie nicht das Gefühl, daß Sie beide ein bißchen übertreiben? All diese Kleinlichkeiten um Sicherheit?«
    »Ich verspreche Ihnen, daß es der Kleinen an nichts fehlen wird«, sagte Carlotta. Sie hob die rechte Hand und bog den Mittelfinger zurück zur Handfläche. »Ich schwöre es bei der Göttin.«
    (»Großer Gott, sie ist eine von diesen…«) sagte Millie Syers, aber Laura hörte den Rest nicht mehr, da sie den Ohrhörer herauszog und die Videobrille abnahm. Es war ein angenehmes Gefühl von Befreiung. Wirklich fühlte sie sich zum ersten Mal wieder frei und sauber, ein unheimliches Gefühl, verbunden mit dem seltsamen Drang, in eine Duschkabine zu springen und sich einzuseifen.
    Sie blickte Carlotta ins Auge. »Einverstanden, Carlotta. Ich vertraue Ihnen an, was mir in der Welt am wichtigsten ist. Sie verstehen das, nicht wahr? Mehr muß ich nicht sagen?«
    Carlotta nickte nüchtern, dann schüttelte sie den Kopf.
    Laura desinfizierte sich und zog rasch die Schutzkleidung an. Lorettas Geschrei trieb sie aus dem Raum.
    Andrej führte sie zu einem weiteren Aufzug auf der anderen Seite des Waschraums. Von der Tür blickte Laura ein letztes Mal zurück und sah Carlotta mit dem Baby hin und her gehen und singen.
    Andrej trat nach ihnen in den Aufzug, kehrte ihnen den Rücken zu und drückte den Knopf. »Wir verlieren wieder das Signal«, warnte David. Die Stahltüren glitten zu.
    Sie sanken abwärts. Laura war schockiert, als sie plötzlich fühlte, daß David ihr das Hinterteil tätschelte. Sie fuhr zusammen und starrte ihn an.
    »He, Schatz«, raunte er ihr ins Ohr. »Wir sind von der Leitung. Große Sache.«
    Er sehnte sich nach Zurückgezogenheit.
    Und hier hatten sie beinahe dreißig Sekunden davon. Solange Andrej sich nicht umwandte.
    Sie sah David irritiert an, wollte ihm sagen… ja, was? Ihm versichern, daß es nicht so schlimm sei? Und daß sie auch unter dem Verlust der Privatsphäre leide? Und daß sie es zusammen durchstehen konnten, aber er solle sich gefälligst benehmen? Oder daß es ja recht komisch sei, und es tue ihr leid, daß sie nervös sei?
    Aber nichts davon brachte sie heraus. Mit der Chirurgenmaske und der goldgenetzten Brille hatte Davids Gesicht einen völlig fremden Ausdruck angenommen. Kein menschlicher Kontakt schien möglich.
    Die Türen glitten zurück; es erfolgte ein plötzliches Einströmen von Luft, daß es in ihren Ohren knackte. Sie bogen nach links ab in einen weiteren Gang. »Es ist schon gut, Mrs. Syers«, sagte David zerstreut. »Wir sind

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