Inseln im Netz
Teufel…« fing David an.
»Sie wollen uns unser eigenes Land verweigern«, sagte Andrej. »Diese Sprengkörper werden noch viele Monate lang unser Blut vergießen.«
Unter ihnen glitt das Land vorüber; plötzlich waren sie über der Karibik. Der Hubschrauber änderte den Kurs. »Fliegen Sie nicht in den Rauch«, sagte Andrej zum Piloten. »Er ist giftig.«
Noch immer quoll dichter Rauch aus zwei der vor der Küste liegenden Bohrinseln. Sie ähnelten großen Tischplatten, auf denen brennende Fahrzeuge gestapelt waren. Ein paar Feuerlöschboote spuckten federartige Strahlen chemischen Schaums über sie.
Die Halbtaucherplattformen hatten Fahrt aufgenommen und standen außerhalb der Gefahrenzone. Die hydraulischen Bohrinseln hatten ihre Plattformen auf Meereshöhe abgesenkt, so daß sie vom Salzwasser überspült wurden. Das Wasser war voll von geschwärztem Treibgut - unbestimmten Klumpen irgendwelchen Materials, Kunststoffkabeln, verbrannten Trümmern jedweder Art - und steifarmigen treibenden Gestalten, die wie Gummipuppen aussahen. Laura sog scharf die Luft ein und blickte weg.
»Nein, sehen Sie sehr gut hin«, sagte Andrej. »Die Angreifer haben uns kein Gesicht gezeigt… Lassen Sie wenigstens diese Menschen Gesichter haben.«
»Ich kann nicht hinschauen«, stieß sie hervor.
»Dann schließen Sie die Augen hinter der Brille.«
»Meinetwegen.« Sie hielt ihr Gesicht zum Fenster und schloß die Augen. »Was werden Sie tun, Andrej?«
»Sie werden heute nachmittag die Insel verlassen«, sagte er. »Wie Sie sehen, können wir Ihre Sicherheit nicht länger garantieren. Sie werden fliegen, sobald der Flughafen von Minen geräumt ist.« Nach einer Pause sagte er: »Dies werden die letzten Flüge hinaus sein. Wir wünschen keine Ausländer mehr. Keine neugierigen Journalisten. Und niemanden von der Wiener Konvention. Wir schließen unsere Grenzen.«
Laura öffnete die Augen. Sie schwebten über der Küste.
Halbnackte Rastas zogen angetriebene Leichen an Land. Ein totes kleines Mädchen. Wasser troff aus seinem schlaffen Kleid, den langen Haaren. Laura unterdrückte einen Aufschrei, krallte die Finger in Davids Arm. Die Galle stieg ihr in die Kehle, und sie fiel in den Sitz zurück, kämpfte gegen die Übelkeit.
»Sehen Sie nicht, daß meiner Frau übel ist?« sagte David. »Es ist genug.«
»Nein«, sagte Laura mit schwacher Stimme. »Andrej hat recht… Andrej, hören Sie! Es ist ganz ausgeschlossen, daß Singapur dies getan haben könnte. Das ist kein Bandenkrieg mehr. Das sind terroristische Greueltaten.«
»Das sagen sie uns auch«, räumte Andrej ein. »Ich denke, sie haben Angst. Heute früh fingen wir ihre Agenten in Trinidad. Es scheint, daß sie mit Spielzeugflugzeugen und Zündhölzern gespielt haben.«
»Sie können nicht Singapur angreifen!« sagte Laura. »Weiteres Töten kann Ihnen nicht helfen!«
»Wir sind nicht Gandhi«, sagte Andrej. Er sprach langsam, mit Bedacht. »Dies ist Terrorismus in großem Maßstab. Aber es gibt eine tiefere Art von Schrecken als diesen - eine viel ältere und dunklere Furcht. Sie könnten Singapur davon erzählen. Sie wissen etwas darüber, denke ich.«
»Sie wollen, daß ich nach Singapur gehe?« sagte Laura. »Ja. Ich werde es tun. Wenn es dieser Schlächterei Einhalt gebieten kann.«
»Sie haben keine kleinen Spielzeugflieger zu fürchten«, sagte Andrej. »Aber Sie können ihnen sagen, daß Sie die Dunkelheit fürchten sollten. Daß sie die Nahrung und die Luft und das Wasser - und ihre eigenen Schatten fürchten sollten.«
David starrte ihn mit offenem Mund an.
Andrej seufzte. »Sollten sie dieser Untat nicht schuldig sein, dann müssen sie es beweisen und sofort auf unsere Seite treten.«
»Ja, natürlich«, sagte Laura hastig. »Sie müssen gemeinsame Sache machen. Rizome kann helfen.«
»Andernfalls bemitleide ich Singapur«, sagte Andrej. Er hatte einen Ausdruck in den Augen, den sie noch nie in einem menschlichen Gesicht gesehen hatte. Er war alles andere als mitleidig.
Andrej verließ sie auf dem kleinen Militärflugplatz bei Pearls. Aber der Evakuierungsflug, den er ihnen versprochen hatte, blieb aus. Es mußte irgendeine Panne gegeben haben, was unter den herrschenden Umständen verständlich war. Schließlich, als es schon dunkel war, schaffte ein Lastenhubschrauber Laura und David zum Zivilflughafen Point Salines.
Scheinwerfer durchbohrten die Nacht, die Zufahrtsstraße zum Flughafen war verstopft. Eine Kompanie motorisierter Infanterie
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