Inseln im Strom
erreicht, aber wenn man sie dann sah, waren alle, die wie sie waren, bloße Imitationen. Sie war in Uniform, lächelte den Türsteher an und fragte ihn etwas, und er antwortete strahlend und nickte mit dem Kopf, und sie überquerte das Trottoir und trat in die Bar. Eine zweite Frau in Uniform folgte ihr.
Thomas Hudson stand auf und bekam keine Luft. Es war ihm, als schnürte ihm etwas die Brust zusammen. Sie hatte ihn gesehen, und sie kam zwischen den Tischen und den Leuten an der Bar auf ihn zu. Die andere Frau kam hinterher. «Entschuldigt», sagte er zu Honest Lil und dem alcalde peor, «ich muß jemanden begrüßen.»
Sie trafen sich auf halbem Weg zwischen der Bar und den Tischen, und er umarmte sie. Sie hielten sich beide fest und bestimmt, wie Menschen einander nur festhalten können, und er küßte sie fest und gut. Sie küßte ihn. Sie hielt mit beiden Händen seine Arme.
«Du», sagte sie. «Du.»
«Du Hexe», sagte er. «Wie kommst du hierher?»
«Von Camaguey natürlich.»
Die Leute starrten sie an, und er hob sie hoch und hielt sie fest an sich gepreßt und küßte sie noch einmal. Dann setzte er sie ab, nahm ihre Hand und wollte auf einen der Ecktische zugehen.
«Das geht hier nicht», sagte er. «Sie sperren uns ein.»
«Sollen sie uns einsperren», sagte sie. «Das ist Ginny, sie ist meine Sekretärin.»
«Guten Tag, Ginny», sagte Thomas Hudson. «Lassen Sie uns diese Verrückte hier hinter dem Tisch verstecken.»
Ginny war nett und häßlich. Sie trugen beide die gleiche Uniform, Offiziersblusen ohne Rangabzeichen, Hemd und Schlips, Röcke, Strümpfe, feste Halbschuhe. Sie trugen die Mützen der Übersee-Truppen, und auf der linken Schulter hatten sie ein Abzeichen, das er nicht kannte.
«Nimm die Mütze ab, Hexe.»
«Das darf ich nicht.»
«Nimm sie ab.»
«Schön.»
Sie nahm die Mütze ab, sah auf, schüttelte ihr Haar aus, warf den Kopf zurück und sah ihn an, und er sah ihre hohe Stirn, das geheimnisvoll gewellte Haar, das immer noch silbern wie reifer Weizen war, die hohen Backenknochen und ihre einwärts gebogenen Wangen mit den Höhlen, die einem jedesmal das Herz brachen, die ein bißchen flache Nase und ihren Mund, der vom Küssen jetzt ein wenig derangiert war, das hübsche Kinn und die Halslinie.
«Wie sehe ich aus?»
«Das weißt du selber.»
«Hast du schon mal jemandem in diesem Aufzug einen Kuß gegeben oder dich an Uniformknöpfen gekratzt?»
«Nein.»
«Liebst du mich?»
«Ich liebe dich immer.»
«Ich meine, ob du mich jetzt liebst, in diesem Moment.»
«Ja», sagte er und schluckte.
«Gut», sagte sie, «es wäre auch die Höhe, wenn du etwas anderes sagtest.»
«Wie lange bleibst du hier?»
«Nur heute.»
«Laß mich dich küssen.»
«Du hast gesagt, sie verhaften uns.»
«Warten wir’s also ab. Was willst du trinken?»
«Gibt es hier guten Champagner?»
«Ja, aber es gibt hier auch einen ausgezeichneten kubanischen Drink.»
«Das kann ich mir denken. Wieviel hast du schon gehabt?»
«Ich weiß nicht, ein Dutzend vielleicht.»
«Du siehst bloß ein bißchen müde um die Augen aus. Bist du in irgendwen verliebt?»
«Nein. Du?»
«Das müssen wir erst sehen. Wo ist dein Weibsstück?»
«Im Pazifik.»
«Hoffentlich. Und tausend Faden tief. O Tommy, Tommy, Tommy, Tommy, Tommy.»
«Bist du in jemanden verliebt?»
«Leider ja.»
«Du Hexe.»
«Ist es nicht schrecklich? Es ist das erste Mal, seit ich dir weggelaufen bin, daß ich dich wiedersehe, und du bist in niemanden verliebt, und ich bin’s.»
«Du bist mir weggelaufen?»
«Das ist meine Version.»
«Ist er nett?»
«Er ist nett. Wie Kinder eben nett sind. Er braucht mich.»
«Wo steckt er?»
«Das ist militärisches Geheimnis.»
«Bist du auf dem Weg zu ihm?»
«Ja.»
«Was machst du eigentlich?»
«Wir gehören zur Truppenbetreuung.»
«Aha, so was wie Seelsorge.»
«Esel. Tu nicht blöd. Du ärgerst dich bloß, weil ich verliebt bin. Du fragst mich auch nicht, wenn du dich in andere Leute verliebst.»
«Wie sehr liebst du ihn?»
«Ich habe nicht gesagt, daß ich ihn liebe. Ich habe gesagt, daß ich in ihn verliebt bin. Ich brauche heute nicht einmal in ihn verliebt zu sein, wenn du es nicht willst. Ich bin bloß einen Tag hier. Ich will nicht unhöflich sein.»
«Geh zum Teufel», sagte er.
«Wie wäre es, wenn ich den Wagen nähme und zum Hotel führe?» fragte Ginny.
«Nein, Ginny, wir trinken erst ein bißchen Champagner. Hast du einen Wagen hier?» fragte sie
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