Inseln im Strom
Thomas Hudson kannte beide Hilfsmittel, aber er wußte auch, daß das Trinken seine Fähigkeit, anständige Arbeit zu leisten, vermindern würde, und er hatte sein Leben seit so langer Zeit auf Arbeit aufgebaut, daß er sie für die eine Sache hielt, die er nicht verlieren durfte. Doch seit ihm klar war, daß er jetzt für einige Zeit nicht arbeiten könnte, hatte er sich vorgenommen, zu trinken und zu lesen und sich Bewegung zu verschaffen, bis er müde genug war, um schlafen zu können. Im Flugzeug hatte er geschlafen, aber in New York hatte er nicht schlafen können. Jetzt saß er in seinem Salon, der zu seiner Kabine gehörte, und die Gepäckträger hatten seine Koffer gebracht und den großen Packen Zeitschriften und Zeitungen, die er sich gekauft hatte. Er hatte gedacht, daß es sich damit am leichtesten anfangen lasse. Er hatte dem Kabinensteward sein Ticket gegeben und ihn um eine Flasche Perrier und etwas Eis gebeten. Als er beides bekommen hatte, hatte er eine Dreiviertelliterflasche guten Scotch aus seinem Gepäck genommen, sie geöffnet und sich einen Drink gemacht. Dann schnitt er den Bindfaden auf, der den Stoß Zeitschriften und Zeitungen zusammengehalten hatte, und breitete sie auf dem Tisch aus. Die Zeitschriften wirkten frisch und unberührt, verglichen mit dem Zustand, in dem sie waren, wenn sie auf der Insel ankamen, und er hatte den New Yorker in die Hand genommen. Auf der Insel hatte er sich den New Yorker immer für den Abend aufgespart, und es war lange her, daß er eine Nummer aus der Woche, in der sie veröffentlicht worden war, und die nicht gefaltet gewesen war, vor sich gehabt hatte. Er saß in dem tiefen, bequemen Sessel, trank aus seinem Glas und merkte, daß sich der New Yorker nicht lesen läßt, wenn gerade Leute umgekommen sind, die man geliebt hat. Er versuchte es mit Time, und damit kam er weiter. Er las sogar die ‹Milestones›, wo der Tod der Jungen angezeigt war, komplett, mit ihrem Alter und dem Alter ihrer Mutter, das nicht ganz stimmte, und ihren Eheverhältnissen und der Bemerkung, daß er 1933 von ihr geschieden worden sei.
In Newsweek stand genau dasselbe, aber während er die kurze Nachricht überflog, erlebte Thomas Hudson die seltene Sensation, daß dem Mann, der sie geschrieben hatte, der Tod der Jungen leid getan hatte.
Er machte sich einen neuen Drink zurecht und fand, daß Perrier das beste war, was man in Whisky tun kann, und dann las er Time und Newsweek, und er las sie beide durch. Was hatte sie bloß in Biarritz gewollt? dachte er. Wenn es wenigstens St. Jean-de-Luz gewesen wäre. Von da an merkte er, daß ihm der Whisky guttat. Schreib sie jetzt ab, sagte er zu sich. Erinnere dich einfach, wie sie gewesen sind, und schreib sie ab. Früher oder später mußt du es doch tun, also tu es jetzt.
Und lies noch etwas, sagte er. Gerade da begann sich das Schiff zu bewegen. Es bewegte sich sehr langsam, und er sah nicht aus dem Salonfenster. Er saß in seinem bequemen Sessel und fraß sich durch den Stoß Zeitungen und Zeitschriften hindurch und trank Scotch und Perrier dazu. Du hast überhaupt kein Problem, sagte er zu sich. Sie sind weg, und du hast sie abgeschrieben. Du hättest sie einfach nicht so verflucht lieb haben sollen. Du hättest sie überhaupt nicht lieben sollen und ihre Mutter auch nicht. Hör lieber auf den Whisky, sagte er zu sich; der löst alle Probleme. Der große Alchimist und Allauflöser, der im Handumdrehen unser gutes Gold in Dreck verwandelt… Das hatte nicht mal Rhythmus. Der unser gutes Gold im Nu zur Sau macht ist besser.
Ich möchte wissen, wo Roger mit dem Mädchen ist, dachte er. Die Bank weiß wohl, wo Tommy ist. Wo ich bin, weiß ich. Hier bin ich, mit einer Flasche Old Parr. Morgen früh schwitze ich’s im Gymnastiksaal aus. Ich werde ein Schwitzbad nehmen, und dann setz ich mich auf eines dieser Fahrräder, die nirgendwohin fahren, und auf das elektrische Pferd. Das ist es genau, was mir not tut, ein Galopp auf einem elektrischen Pferd. Danach lasse ich mich massieren. Und dann treffe ich irgendwen in der Bar und rede mit ihm über was anderes. Es sind nur sechs Tage. Sechs Tage sind gar nichts.
In der Nacht schlief er ein, und als er im Dunkeln aufwachte, hörte er, wie das Schiff sich durch die See bewegte, und beim ersten Geruch der See dachte er, er sei zu Hause, in dem Haus auf der Insel, und ein Alptraum hätte ihn aufgeweckt. Dann wußte er, daß es kein Alptraum war, und er roch das Staufferfett in den Scharnieren
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