Inselzirkus
eleganten Frisur hochgesteckt hatte. Dass sie soeben GroÃmutter geworden war, veranlasste Mamma Carlotta zu jubelnden Glückwünschen, für die sich Heidi Schirrmacher jedoch nur mit einem gequälten Lächeln bedankte.
»Ich bin erst zweiundvierzig! Hätte ich Harry nur nicht von meinem Enkel erzählt! Seit meinem vierzigsten Geburtstag behandelt er mich sowieso wie eine Oma! Und jetzt erst recht!«
»Was ist schlimm daran, eine GroÃmutter zu sein?«, fragte Mamma Carlotta erstaunt, die bei der Geburt ihres ersten Enkelkinds nicht älter gewesen war.
Heidi Schirrmacher lachte bitter. »Früher hatte ich eine Rolle mit einer eigenen Geschichte. Einmal durfte ich sogar eine Affäre mit einem Chefarzt haben. Jetzt sagt Harry, so was wäre unglaubhaft. Eine Frau von über vierzig sei asexuell.«
Mamma Carlotta blieb der Mund offen stehen. »Und ein Mann?«
»Der ist mit über vierzig natürlich der Hahn im Korb, wo immer er sich blicken lässt, und auf der Höhe seiner sexuellen Kraft!« Da sie sich nicht vorstellen konnte, dass dieser Begriff in den sonntäglichen Lektionen von Mamma Carlottas Enkeltochter vorgekommen war, ergänzte sie vorsichtshalber: »Eine Frau wird spätestens ab vierzig ein hässliches Huhn, das keinen Hahn mehr interessiert.«
»Der reichste Weinbauer in meinem Dorf hat das auch früher behauptet.« Mamma Carlotta hielt sich immer nur so lange mit ihrer Empörung auf, bis sich eine gute Geschichte fand, mit der der Zorn besser zu ertragen war. »Seine erste Frau war noch keine vierzig, da wurde sie ihm zu alt. Er schickte sie zum Teufel und holte sich eine Frau von Anfang dreiÃig ins Haus. Aber die war ihm nach der Geburt ihrer Zwillinge zu dick. Daraufhin fand er eine Zwanzigjährige, sehr hübsch und natürlich sehr schlank. Aber die hatâs ihm gezeigt. Als er einen Schlaganfall bekam, landete er im Pflegeheim, und die junge Frau bringt nun sein Geld mit einem Mann durch, der so alt ist wie sie.«
»Bravo!«, rief Heidi und füllte die Gläser neu.
»Das haben diese Kerle verdient!«, bestätigte Beate Ganzow, die die Haushälterin der Arztfamilie spielte. Sie war eine hübsche Brünette, aber so schlank, dass sie abgemagert und krank aussah. Ihre groÃen, ausdrucksvollen Augen lagen tief in den Höhlen, sie wirkte hungrig und ausgezehrt. »Als ich fünfunddreiÃig wurde, hat mir Harry die Pistole auf die Brust gesetzt. Wenn ich nicht mehr in GröÃe sechsunddreiÃig passe, hat er gesagt, wird meine Rolle gestrichen.«
»Diese Kanaille!«, fluchte Heidi und schüttelte die Fäuste.
»Seitdem habe ich mir keine einzige Praline mehr gegönnt«, klagte Beate weiter, »immer nur Obst und Gemüse, niemals Pommes oder Tiramisù. Und was passiert? Meine Rolle wird trotzdem immer kleiner! Vor einem Jahr war die Haushälterin noch eine Kleptomanin und hatte damit eine eigene Geschichte mit vielen Konflikten. Jetzt darf ich nur noch am Herd stehen und gelegentlich den Staubsauger aus der Ecke holen.«
»Da lobe ich mir den Bäcker aus unserem Nachbardorf«, warf Mamma Carlotta ein. »Der belohnt seine Frau für jedes Kilo, das sie zunimmt. Als sie endlich zwei Zentner wog, hat er ihr sogar ein Brillantarmband geschenkt.«
Die Dritte in der Runde, Kristin Pölzer, sah Mamma Carlotta ungläubig an. »So was gibtâs? Und die braucht sich wahrscheinlich auch nie liften zu lassen?«
Darüber wusste Mamma Carlotta nichts Genaues zu sagen, hielt es aber für sehr wahrscheinlich, dass eine so radikale Korrektur der Natur für den Bäcker nicht infrage kam. »AuÃerdem bekommt man ja keine Falten, wenn man so dick ist.«
Die Blicke der vier Frauen wanderten zu Tanja Möck, die schweigend dasaà und an ihrem Sekt nippte. Tatsächlich war ihr Gesicht faltenfrei, aber keine von ihnen kommentierte diesen Umstand, weil Tanja Möck der lebende Beweis dafür war, dass eine glatte Haut nicht automatisch zu brillantem Aussehen führte.
»Du hast es gut, Tanja«, seufzte Heidi Schirrmacher. »Du kannst aussehen, wie du willst. Völlig egal!«
»Wir haben eben einen ScheiÃberuf«, ergänzte Beate.
Und Kristin setzte noch einen drauf: »Hätte ich mich liften lassen müssen, wenn ich Bürokauffrau geblieben wäre? Nein! Aber ich wollte ja unbedingt Schauspielerin werden! Ich
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