Inside Anonymous: Aus dem Innenleben des globalen Cyber-Aufstands (German Edition)
stellte Topiary fest.
»Stellt euch vor, ihr verliert eure Anonymität«, hatte Topiary in der Sendung bei Radio Payback zu erklären versucht, worum es bei der Persona-Management-Software ging. »Stellt euch vor, ihr richtet einen Online-Account mit einem Namen ein und Monate später einen weiteren mit einem anderen … Stellt euch nun ein Programm vor, das die Login-Zeiten von beiden Konten miteinander abgleichen kann, die Grammatik, die ihr benutzt, jeden Nickname … und das so automatisch herausfindet, wer ihr online seid.« Topiary wusste, dass man die wahre Identität eines Anons herausfinden konnte, indem man einfach über Google einer Spur folgte, die mit dem Titel des Lieblingsfilms begann. Er hasste die Vorstellung, dass eine von der Regierung in Auftrag gegebene Software das hundert Mal effizienter schaffte.
Aber der Stress, die assoziativen Skype-Gespräche, die Verschwörungstheorien über das Militär wurden ihm langsam zu viel. Er dachte an seine andere Gruppe – Sabu, Kayla und die anderen in #HQ. Die Hacks gegen die Westboro Baptist Church, die tunesische Regierung, Websites der ägyptischen Regierung, Copyright Alliance, das tunesische Anti-Spionage-Skript, HBGary – das alles war nur wegen der Menschen in diesem Kernteam möglich gewesen. Topiary glaubte, dass Anonymous, so wie die Außenwelt die Bewegung kannte, sterben würde, wenn diese Gruppe sich zurückzog. Es war noch wichtiger als Browns Nachforschungen, dass diese Gruppe zusammenblieb.
»Barrett«, sagte er Mitte März schließlich, »ich muss bei euch aussteigen. Es wird einfach zu schräg und zu viel Verschwörung.« »Okay«, antwortete Brown. »Dann arbeitest du eben nicht mehr so viel mit wie bisher.« Barrett ärgerte sich insgeheim, aber Topiary hatte das Gefühl, dass er es verstand. Er schloss seine Dateien über die Operation Metal Gear und sammelte sie in einem Ordner mit insgesamt etwa 150 Megabyte Daten – Textdateien, Audiodateien der Konferenzgespräche mit Brown –, auf die er wahrscheinlich nie wieder einen Blick werfen würde.
Damals wurde er in einem Interview gefragt, ob er glaube, dass dieses »Kernteam« sich jemals von Anonymous lösen und sein eigenes Ding durchziehen könne. »Eigentlich nicht«, antwortete er. »Ich kann mir vorstellen, wie es wäre. Wir könnten wahrscheinlich unter dem Namen irgendeiner blöden Hackergruppe im Internet für Unruhe sorgen, in die Nachrichten kommen, geheime Daten veröffentlichen, Websites blockieren oder zerstören.« Es würde irgendwann langweilig werden, meinte er. »Unter der Flagge von Anonymous hat das Ganze einen Zweck, eine Bedeutung, und ist keine reine Ego-Sache.« Nur wenige Wochen später dachte er darüber ganz anders.
Kapitel 14: Backtrace schlägt zu
Ende Februar war es bitterkalt in Michigan. Nach einem kurzen Frühlingseinbruch hatte ein Blizzard Jennifer Emicks Vorgarten unter über einem Meter Schnee begraben. Eichhörnchen klauten Päckchen aus ihrem Briefkasten in der Hoffnung, Kekse darin zu finden, aber Emick dachte gar nicht daran, hinauszugehen und nachzusehen. Draußen gefror einem fast der Atem, und außerdem war sie in die Nachforschungen über Anonymous vertieft, die sie angestoßen hatte.
Nachdem Laurelai ihr die Logs aus dem #HQ-Kanal übergeben hatte, hatte die Sache eine neue Ebene erreicht. Emick wollte der Welt zeigen, wie Anonymous wirklich war – rachsüchtig, gewissenlos und alles andere als anonym. Im Dezember 2010, als die Operation Payback mit den Angriffen gegen PayPal und MasterCard richtig in Schwung gekommen war, hatte Emick sich bereits vollständig von Anonymous gelöst. Es lag nicht daran, dass sie etwas gegen die Angriffsziele hatte, sondern an der Grausamkeit, die sie seit Chanology zunehmend im Netzwerk erlebte. Emick hatte Kontakt zu einigen wenigen Anons gehalten, hatte ein paar Unterstützer zu sich nach Hause eingeladen und schließlich eine Skype-Gruppe namens Treehouse (Baumhaus) gegründet. Sie beschrieb sie als »nur ein paar Freunde, die miteinander rumhingen und redeten«.
Aus Chanology heraus waren neue Anonymous-Zellen entstanden, manche waren nur Gruppen von Freunden. Einige dieser Gruppen verschwanden ganz, und viele Teilnehmer von Chanology gingen weg aufs College oder brachen den Kontakt zu Anonymous endgültig ab. Nur wenige Engagierte, wie Laurelai und Emick, waren auch bei der nächsten Welle 2010 noch da. Nur gehörte Emick inzwischen zu einer Minderheit, die Anonymous aufhalten wollte.
Wie
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