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Inside Occupy

Inside Occupy

Titel: Inside Occupy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Graeber
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auszurufen, in denen wir unsere Problemedurch rein demokratische Mittel lösen können. Wie also lässt sich diese Strategie auf eine Art und Weise verfolgen, die für Menschen wie die, die ihre Geschichte auf »We are the 99%« gepostet haben, einen konkreten Nutzen darstellt?
    Es ist dies teils eine Frage von Bündnissen. Zu sagen, man lasse sich nicht auf ein korruptes System ein, ist eine Sache; eine ganz andere ist es, zu sagen, man möchte sich noch nicht mal mit den Menschen einlassen, die so etwas tun. Letzteres würde bedeuten, sich buchstäblich auf eine winzige utopische Enklave zu beschränken, die keinerlei unmittelbare Wirkung auf das Leben anderer hat. In dem Augenblick jedoch, in dem man sich mit institutionell mächtigen Helfern einlässt – mit Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen, politischen Parteien oder parteiverbundenen Gruppen, ja selbst mit Prominenten –, läuft man Gefahr, seine eigene interne Demokratie zu kompromittieren. Das begann in dem Augenblick, in dem Leute wie Roseanne Barr, Joseph Stiglitz und Michael Moore im Zuccotti Park aufzutauchen und ihre Unterstützung anzubieten begannen. Sicher, jeder freute sich, sie zu sehen, aber sie hatten ganz offensichtlich nicht die Absicht, ihre Teilnahme auf kollektive Diskussionen mittels Menschenmikrofon zu beschränken. Ihr Modus ist nun einmal der der Rede. Volksreden zu halten wirkt ansteckend, und sich vor der Ansteckung zu schützen war zu anfangs sehr schwer. Nicht dass das eine große Sache gewesen wäre, aber es gibt einem ein Gespür für die Probleme.
    Größer wurden diese, als liberale Gruppen wie MoveOn 14 (Wahlspruch: »Democracy in action«) mit ihren bezahlten, erfahrenen Vollzeitangestellten und vertikalen Gepflogenheiten ihre Hilfe anboten. Solche Gruppen haben nicht selten politische und legislative Hintergedanken, die sie kaum je offen äußern. Ich betone noch einmal, man möchte wirklich keine Unterstützung verweigern, wenn sich dadurch die Bewegung ausweiten und koordinieren lässt, aber wir hatten endlose Probleme damit, diese Koordinationsstrukturen horizontal zu halten – vor allem dann, wenn man es mit wohlmeinenden Organisatoren zu tun hat, die das Wort »horizontal« noch nicht mal gehört haben und womöglich jede akribische Sorge um die interne Demokratie als eigenartige Selbstverliebtheit abtun.
    Selbst Geld kann in dieser Hinsicht zum Problem werden. Im ersten oder, sagen wir, in den ersten beiden Monaten von Occupy Wall Street gingen Beiträge im Wert von insgesamt etwa einer halben Million Dollar ein. Dieses Geld führte zu derart vielen Streitereien und Problemen, dass viele Aktivisten es lieber sobald als möglich irgendwie wieder losgeworden wären; bis heute ist der größte Teil davon noch da. Dies reflektiert meiner Ansicht nach keineswegs ein essenzielles Problem mit dem demokratischen Prozess als vielmehr den Umstand, dass die Erfahrungendes durchschnittlichen Aktivisten im Umgang mit Geld – und Organisationen, deren Lebensblut es ist – zu ganz anderen Imperativen und Gepflogenheiten im Umgang damit geführt haben. Aber man kann die Welt des Geldes eben unmöglich völlig umgehen.
    Mit den meisten dieser Probleme lässt sich fertig werden, und letztendlich wird man das auch durch die Einrichtung der einen oder anderen Firewall geistiger und organisatorischer Art. Weitaus heikler sind weitreichendere strategische Fragen. Man muss sich beispielsweise darüber im Klaren sein, dass Occupy Wall Street bisher effektiv eine Strategie der Delegitimierung verfolgte. Angesichts dessen, was Politik heute in den Vereinigten Staaten bedeutet, war das wahrscheinlich auch nicht zu vermeiden. Wir haben genau genommen schon vor dem ersten Schritt die Hälfte des Weges geschafft.
    Für die überwiegende Mehrheit der Amerikaner war ihr politisches System längst so nutzlos wie korrupt. Gerade der Sommer, in dem die Besetzung geplant wurde, zeichnete sich durch eine ungewöhnlich bizarre, kindische und sinnentleerte Zurschaustellung politischen Geweses um die Deckelung der Staatsschulden aus, die die Sympathien für den Kongress mit 9 Prozent auf den niedrigsten Wert aller Zeiten absinken ließ. Während die meisten Amerikaner inmitten einer lähmenden Rezession darbten und Millionen sich in einer Situation sahen, gegen die das politische System erklärtermaßen entweder nichts tun wollte oder nichts auszurichten vermochte, drohten die Republikaner im Kongress, die USA für zahlungsunfähig zu

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